Nachtzug
einer anderen Person dazuzumischen und …«
»Genau das tun sie!« fiel ihm Hartung ins Wort.
»Oh, nun komm schon, Max, du hast doch keinerlei Anhaltspunkte dafür. Eine vorgetäuschte Fleckfieberepidemie? Niemand wäre verrückt genug, auch nur den Versuch zu wagen! Wie lange könnten sie erwarten, damit ungestraft davonzukommen?«
»Ich weiß nicht, Fritz. Ich habe nur so ein Gefühl …«
»Max«, entgegnete der Arzt mit ernster Miene und beugte sich vor, »es ist unmöglich, in einer Stadt dieser Größe eine Epidemie vorzutäuschen und noch dazu die umliegenden Gehöfte und Dörfer mitein {283} zuschließen. Die Leute würden dahinterkommen und mit anderen darüber reden. Irgendwie würde die Kunde nach draußen sickern, und es würde bekannt, daß es in der Stadt gar keine Krankheit gibt.«
»Es sei denn«, begann Max und verzog seine schmalen Lippen zu einem wölfischen Grinsen, »es sei denn, die Leute sind an dem Schwindel beteiligt.«
»Wie bitte?« Überrascht hob Müller die Augenbrauen und starrte seinen Freund ungläubig an.
»Wäre es denn so unvorstellbar, Fritz? Hör zu, das Oberkommando sucht schon seit geraumer Zeit nach einer Möglichkeit, das Munitions- und Ersatzteillager in Sofia wieder nutzbar zu machen. Niemand hat bisher mit einer Lösung aufwarten können, weil niemand das Risiko eingehen wollte, sich zu Nachforschungen in die Quarantänezone zu begeben. Weißt du, was ich tun werde, Fritz! Ich werde mich freiwillig dazu bereiterklären, nach Sofia zu gehen, um mich mit allen Kräften dafür einzusetzen, daß den Truppen diese Einrichtung so schnell wie möglich wieder zur Verfügung steht.«
»Spaß beiseite! Du darfst das Quarantänegebiet nicht betreten, Max …«
»Und ich will, daß du mich begleitest, Fritz, denn deine Behörde wird den Beweis führen, daß es in dieser Stadt keine Epidemie gibt. Wir nehmen Laboranten, Ausrüstung und zwei SS -Einheiten mit schwerer Artillerie mit.«
»Aber es ist ein verseuchtes Gebiet! Du würdest uns alle der Gefahr aussetzen, uns mit Fleckfieber zu infizieren!«
»Nein, Fritz.« Max spürte, wie er seltsam ruhig wurde. Es war mehr als eine unmittelbare Erkenntnis, die ihn jetzt antrieb; es war ein dringendes Bedürfnis. Das Bedürfnis, sich an der Stadt zu rächen, die ihn zum Narren gehalten hatte. »Wir werden sie als ein Nest dreckiger Widerstandskämpfer entlarven, mit deren Liquidierung wir dem Reich gewiß einen großen Dienst erweisen können.«
»Und mir hast du dabei wohl die Aufgabe zugedacht, dieses schmutzige Pack zu untersuchen?«
»Nein, Fritz. Du wirst dir dort überhaupt niemanden näher ansehen müssen. Du mußt nur von angeblich Kranken Blutproben nehmen und sie vor Ort überprüfen. Von tausend gemeldeten Fleckfieberpatienten wählst du nach dem Zufallsprinzip einige aus. Jan Szukalski {284} mag ein paar Leute dazu überreden, sich krank zu stellen, aber er kann unmöglich ihr Blut krank erscheinen lassen!«
Fritz Müller nickte unsicher. Er war noch immer nicht ganz überzeugt.
Zufrieden mit sich selbst lehnte Max Hartung sich zurück. Er dachte an die Auszeichnungen, die er für die Aufdeckung des Schwindels und die Wiedernutzbarmachung der militärischen Einrichtung erhalten würde. Das Oberkommando würde ihn für die Rückgabe des Munitionsdepots gewiß reich belohnen.
Vielleicht würde ihm dieser Schritt eine Beförderung eintragen und ihn sogar ganz nach oben bringen.
»Dr. Szukalski?« fragte eine schüchterne, fast entschuldigende Stimme. »Dr. Szukalski, verzeihen Sie die Störung.«
Jan sah von der Fieberkurve auf, die er gerade vervollständigte, und erblickte die gebeugte, unterwürfige Gestalt eines Krankenpflegers namens Bernhard.
»Ja, was gibt es?«
»Kann ich Sie einen Moment sprechen?« Der alte Mann sah sich vorsichtig nach allen Seiten um. »Unter vier Augen?«
In der Stimme des Mannes lag etwas Dringliches, so daß Jan rasch erwiderte: »Natürlich. Ich bin gleich in meinem Büro. Gehen Sie doch schon vor, und nehmen Sie Platz.«
»Ganz wie Sie meinen, Herr Doktor«, murmelte er und trottete gehorsam davon.
Szukalski beendete seine Eintragungen und betrat genau fünf Minuten später sein Büro. Der alte Mann stand nervös am Fenster und schaute auf den Gehsteig hinunter.
»Was kann ich für Sie tun, Bernhard?« Szukalski lief um den Schreibtisch herum und setzte sich.
Der Krankenpfleger rang die Hände und suchte nach Worten. »Es ist wegen meiner Frau, Herr Doktor«,
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