Nachtzug
kommen, zumal es uns nicht möglich war, den Lausbefall völlig unter Kontrolle zu bekommen.«
Sie deuteten auf einen Mann, und als die Bettlaken zurückgezogen waren, konnten die beiden deutschen Ärzte ihre Bestürzung nicht verbergen. Auf dem todgeweihten Körper des armen Opfers zeigte sich der typische Fleckfieberausschlag. Als Szukalski ihren Gesichtsausdruck sah, schickte er im Geiste ein Stoßgebet zum Himmel: Gott sei Dank, daß es Essigsäure gibt!
Sie gingen weiter zum nächsten Patienten. Dieser war fast bewußtlos, hatte eine aschfahle Haut und schwitzte heftig. In einer Stimme, die nicht seine war, wies Müller den Laboranten an: »Nehmen Sie Blut von diesem hier, von dem dort drüben und von diesen fünfen da. Machen wir jetzt, daß wir aus dieser Jauchegrube herauskommen.« Als sie sich vor dem Krankenhaus wieder zusammenfanden und die warme Sommerluft in tiefen Zügen einsogen, fragte Szukalski:
»Möchten die Herren jetzt eines unserer Dörfer besuchen? Die Wahl liegt natürlich ganz bei Ihnen.«
Alle Besucher außer einem stimmten diesem Vorschlag zu. Nur Müller schwieg.
Er spürte die Wut in sich aufsteigen, wollte sich aber nichts anmerken lassen, und aus Angst, die Beherrschung zu verlieren, vermied er es, Hartung anzusehen. Widerstrebend zog er ein kleines Notizbuch aus der Manteltasche, holte tief Luft und sagte: »Aus unseren Aufzeichnungen geht hervor, daß es um ein Dorf namens Slavsko herum extrem viele Fleckfieberfälle gibt.«
Szukalski konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Wie ich sehe, haben Sie über unsere Meldungen genau Buch geführt.«
»Sie müssen verstehen, Herr Doktor, daß es als Amtsträger der ober {300} sten deutschen Gesundheitsbehörde unsere Pflicht ist, uns über die Ausbreitung von Krankheiten auf dem laufenden zu halten. Wir haben schon lange, bevor der Herr Sturmbannführer uns über seine Vermutungen in Kenntnis setzte, über diese Gegend Buch geführt. Wir wollen nach Slavsko fahren.«
»Sehr gut.« Szukalski machte auf dem Absatz kehrt und ging der Gruppe wieder voran in Richtung auf das Rathaus. Dabei riskierte er einen raschen Blick hinauf zum Fenster der zweiten Etage des Krankenhauses. Dies war das Signal, daß der nächste Teil des Plans beginnen konnte.
Daß die Wahl auf Slavsko gefallen war, kam Szukalski sehr gelegen. Er wußte, daß die Delegation es auf keinen Fall ihm überlassen hätte, ein Dorf auszusuchen, da man ihn verdächtigt hätte, es für seine Zwecke »herzurichten«. Doch Slavsko war ein besonders schmutziges, notleidendes Dorf und würde einen ausgezeichneten Hintergrund für sein Possenspiel abgeben. Als sie die Treppe hinuntergingen, gab Müller einem seiner Laboranten Anweisung, im Krankenhaus zurückzubleiben und mit den eben genommenen Blutproben den klassischen Test durchzuführen. Dann eilte er den anderen nach.
Nachdem Piotr Wajda von seinem Platz am Fenster das verabredete Zeichen gesehen hatte, verließ er das Krankenhaus durch den Hintereingang und schlug eilends den Weg zum Weißen Adler ein.
Der deutsche Laborant räumte sich eine Arbeitsfläche frei und baute den mitgebrachten Ständer mit Reagenzgläsern auf, wobei er peinlich darauf achtete, in jedes Glas genau die richtige Menge Salzlösung abzufüllen. Er arbeitete schnell und geübt. Rasch verdünnte er das Serum mit der Salzlösung und gab dem Gemisch eine kleine Menge Proteus-X-19-Suspension als Antigen bei.
Einen Augenblick später schüttelte er den Kopf, als er, halb verwundert, halb verärgert, feststellen mußte, daß alle Reagenzgläser von der Verdünnung 1 : 20 bis zur Verdünnung 1 :1280 den klassischen Bodensatz und die Verklumpung der bakteriellen Suspension zeigten.
»Donnerwetter!« murmelte er ungläubig. »Positiv bis hin zur höchsten Verdünnung!«
Hastig schrieb er die Ergebnisse in sein Notizbuch, machte hinter sich {301} sauber, packte seine Ausrüstungsgegenstände in den Transportkoffer und verließ das Krankenhaus, so schnell seine Beine ihn trugen, in Richtung Gestapo-Hauptquartier.
Der dicke Adlerwirt kam mit einer unter seinen wabbeligen Brüsten gebundenen Leinenschürze aus der dampfenden Küche und trat auf Piotr Wajda zu. »Guten Tag, Herr Pfarrer«, begrüßte er ihn, während er sich die fettigen Hände an der Schürze abwischte, die von Schweineblut und Soßenflecken starrte, »sind Sie gekommen, um mein Haus zu segnen? Das hoffe ich doch; seit der Krankheit läuft das Geschäft nicht mehr so gut.«
Wajda
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