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Nachtzug

Titel: Nachtzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood , Gareth Wootton
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setzte seinen viereckigen Hut ab und begrüßte den Mann mit einem Handschlag. Sie kannten einander schon seit zwanzig Jahren. Er hatte diesen Mann getraut, seine Kinder waren allesamt von ihm getauft worden und hatten aus seiner Hand die heilige Erstkommunion empfangen. »Bolislaw«, begann er leise und sah sich in dem leeren Gastraum um; zu dieser Tageszeit herrschte nur wenig Betrieb, »ich möchte dich um einen Gefallen bitten.«
    »Mich?« Die kleinen Schweinsaugen des Mannes weiteten sich. »Sie wollen mich um einen Gefallen bitten?« Er brach in ein glucksendes Gelächter aus. »Nach all den Jahren, die ich bei Ihnen die Beichte ablege – ›Vergeben Sie mir, Herr Pfarrer, denn ich habe gesündigt‹ – kommen Sie zu mir …« Der Wirt verstummte, als er den ernsten Gesichtsausdruck des Priesters sah.
    »Es ist etwas, was nur du tun kannst, Bolislaw«, sagte Pfarrer Wajda ruhig. »Ich brauche deine Hilfe.«
    Der dicke Mann nahm die gleiche ernste Haltung an und legte eine Hand auf seine verschwitzte Brust. »Selbstverständlich, Herr Pfarrer, alles, was Sie wollen. Das wissen Sie doch. Aber wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Herr Pfarrer, Sie sehen aus, als könnte Ihnen ein Gläschen Wein nicht schaden.«
    Ein flüchtiges Lächeln huschte über das Gesicht des Priesters, bevor er leise, fast bedauernd erwiderte: »Was ich brauche, Bolislaw, ist ein Festessen.«
     
    Im vordersten Wagen herrschte eine unheilvolle Ruhe, was sich automatisch auf die Stimmung in den folgenden Fahrzeugen übertrug. Da {302} Hartung, Müller und Szukalski seit der Abfahrt vom Rathaus-Hauptquartier kein Wort mehr gewechselt hatten, wagten auch die anderen nicht zu sprechen. Die Stunde der Wahrheit stand unmittelbar bevor. Was sie im Krankenhaus gesehen hatten, konnte durchaus ein Teil des Schwindels gewesen sein, von dem der Sturmbannführer gesprochen hatte. Doch hier draußen, in einem Dorf, das Dr. Müller selbst ausgesucht hatte, würde sich zeigen, ob Hartungs Vermutungen gerechtfertigt waren.
     
    Piotr Wajda schlug eine militärische Gangart ein, als er auf den Mann zuschritt, der der Kommandant der Panzergruppe zu sein schien. Hin und wieder blickte er zum strahlendblauen wolkenlosen Himmel auf und erweckte dadurch ganz den Eindruck eines harmlosen Spaziergängers.
    Als er sich jedoch dem Offizier näherte und ihn mit einem entwaffnenden Lächeln grüßte, griffen einige der Soldaten spontan zu ihren Gewehren.
    »Guten Tag, Herr Hauptmann«, rief er in akzentfreiem Deutsch. Der Offizier wandte sich an seinen Adjutanten und murmelte: »Was zum Teufel will er wohl?«
    Der Feldwebel, der sich auf eine Zigarette zu seinem Kommandanten gesellt hatte, während die Truppe auf die Rückkehr des Sturmbannführers wartete, schnaubte verächtlich: »Wahrscheinlich will er wissen, warum Sie letzten Sonntag nicht in der Kirche waren.«
    Der Offizier drückte mit dem Stiefel seine Zigarette aus, trat einen Schritt nach vorn und bellte: »Was wollen Sie?«
    »Herrlicher Tag heute, nicht wahr, Herr Hauptmann?«
    Die beiden Deutschen wechselten Blicke.
    »Ich meine, es ist doch ein Jammer für Sie, daß Sie alle so an Ihre Fahrzeuge gefesselt sind. Die Sonne scheint, Gott lächelt auf uns alle herab, und heute ist ein Feiertag.«
    Der Offizier musterte den Priester argwöhnisch. »Wovon reden Sie eigentlich?«
    »Ich rede davon, daß ich mit Ihnen mitfühlen kann. O ja, ich bin ein Pole, und Ihr seid Deutsche. Aber schließlich bin ich Geistlicher, und Gott ist mein höchster Gebieter. Verstehen Sie, was ich meine?« Er lächelte breit. »Die Bürger von Sofia werden heute im Park neben der {303} Kirche ein Essen im Freien veranstalten. Da drüben.« Er deutete über die Schultern der Männer, die sich umdrehten und gegen die Sonne zu dem einladend grünen Rasengrund neben Sankt Ambroż hinüberblinzelten. Einige Polen waren dabei, lange Holztische aufzustellen, während Frauen emsig Tischtücher darüberbreiteten und Teller verteilten. Ein mit dampfenden Töpfen und Messingkannen beladener Wagen wurde herangerollt. »Ich bin nur gekommen, um Ihnen zu sagen, daß Sie alle herzlich dazu eingeladen sind.«
    Der deutsche Offizier wandte sich wieder dem Priester zu und betrachtete ihn abermals mißtrauisch. »Aha, wir sollen also alle weggehen«, knurrte er, »damit ihr in aller Seelenruhe unsere Panzer sabotieren könnt?«
    »Wirklich, Herr Hauptmann, Sie enttäuschen mich. Es hat mir nur leid getan, daß Sie hier in der Sonne

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