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Nachtzug

Titel: Nachtzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood , Gareth Wootton
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Widerstandes zeugten. Häuser waren mit Brettern vernagelt, und in den vernachlässigten Gärten wucherte das Unkraut. Die Hauswände waren mit wütenden Parolen beschmiert.
    Doch nicht so sehr das äußere Erscheinungsbild der Stadt hatte sich verändert, denn eigentlich war Krakau von der Verwüstung, die andere polnische Städte getroffen hatte, weitgehend verschont geblieben. Es war vielmehr die hier herrschende Stimmung, die Szukalski auffiel. Während die Bewohner des friedlichen Sofia ihr normales Leben hatten fortführen können, hatten die Menschen in Krakau die ganze Härte der deutschen Besatzung zu spüren bekommen.
    Erinnerungen kamen in ihm hoch, an die glückliche Kindheit, die er hier verbracht hatte. Er ging am Czartoryski-Palast vorbei und mußte an die Studenten denken, die sich einst auf diesen Gehsteigen getummelt hatten und für ein paar Zloty Geige und Akkordeon spielten. Als er den Alten Markt, den großen, gepflasterten Platz im Zentrum der Stadt, betrat, sah er dort nicht die Besatzungssoldaten und die {318} schlammbespritzten Panzer. Statt dessen sah er die Fahnen und Apostelfiguren am Fronleichnamstag, als er dort mit seinen Eltern niedergekniet war und gebetet hatte. Als er den Blick über die imposante Architektur der Tuchhallen schweifen ließ, sah er nicht die roten Hakenkreuzfahnen, sondern den Blumenmarkt, der früher hier abgehalten wurde, und er stellte sich seine Mutter vor, die stehen blieb, um einen kleinen Strauß auszusuchen.
    Szukalski wandte sich ab und ging weiter. Dies hier war ein anderes Krakau als das, wo er geboren und aufgezogen worden war.
     Das Krakau von damals existierte nicht mehr.
    Er kam zu den Mauern des Kazimierz, des Krakauer Gettos, die mit gelber Farbe und den obszönen Verwünschungen von Antisemiten beschmiert waren. Stacheldraht bewehrte die dicken Mauern, und Szukalski erinnerte sich, wie er damals mit seiner Mutter durch den jüdischen Markt geschlendert war und wie fasziniert er als Junge von den Gestalten mit den langen, schwarzen Mänteln, den Pelzhüten und den Korkenzieherlocken neben jedem Ohr gewesen war. Diese Juden waren jetzt alle fort.
    Jan Szukalski schlug den Weg zur Jagellonischen Universität ein, wo am nächsten Tag das Symposium stattfinden sollte. Seit 1939, dem Jahr, in dem alle Lehranstalten geschlossen worden waren, fanden natürlich auch an Krakaus berühmter Universität keine Vorlesungen mehr statt, und die Polen hatten keinen Zugang mehr zu höherer Bildung. Aber dieses Symposium wurde unter deutscher Schirmherrschaft abgehalten und hauptsächlich von Deutschen besucht. Zu diesem Anlaß war ein Hörsaal des alten Gebäudes geöffnet worden.
    Als er das Standbild Kosciuszkos auf dem Wawel-Hügel sah, wurden noch mehr schmerzliche Erinnerungen in ihm wach. Wie er im Schatten der fünfhundert Jahre alten Mauer gesessen und seine Medizinbücher gewälzt hatte. Wie er manchmal den Unterricht geschwänzt hatte, um in den Tatra-Bergen Skifahren zu gehen. Wie er einen Tag, nachdem er sein Abschlußdiplom erhalten hatte, in dem kleinen Café auf der anderen Seite der Straße Katarina begegnet war.
    Aber es nützte nichts, über jene glücklichen Tage nachzudenken, das wußte Szukalski. Er war aus einem sehr wichtigen Grund in Krakau und konnte sich den Luxus nicht leisten, Erinnerungen an die Vergangenheit nachzuhängen.
    {319} Da die meisten Hotels entweder geschlossen oder für Polen verboten waren, mußte Dr. Szukalski ein kleines Zimmer in einem Privathaushalt nehmen, der zur Aufbesserung seines Einkommens Untermieter akzeptierte. Nachdem er der Frau des Hauses den unverschämten Preis von drei Zloty bezahlt hatte, obwohl diese lieber Reichsmark gehabt hätte, zog Szukalski sich für die Nacht zurück.
     
    Als er die Aula betrat, in der das Symposium über Infektionskrankheiten stattfinden sollte, war Jan zuerst erfreut über die große Besucherzahl. Doch bei näherem Hinsehen und Hinhören stellte er rasch fest, daß der Veranstaltung nur wenige Polen und Tschechen beiwohnten. Die meisten Teilnehmer waren Deutsche. Während er im hinteren Teil des Saals Platz nahm, dachte er an seine Kollegen aus seiner Krakauer Zeit und fragte sich, wo sie jetzt wohl sein mochten.
    Er schlug das Programmheft auf und überflog die Liste der Vorträge, die vor der Versammlung gehalten werden sollten. Der vierte Titel auf der Liste weckte seine Aufmerksamkeit. »KomplementbindungsReaktion bei Rickettsien.«
    Nachdem er lange bei dem Titel verweilt

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