Nachtzug
anwesenden Ärzte Essen ausgegeben, und trotz einiger Schwierigkeiten konnte sich Szukalski einen Platz an dem Tisch sichern, an dem die beiden Rickettsien-Experten saßen. Während der freundlichen Unterhaltung fand er Gelegenheit, seine Frage zu stellen.
Sie aßen Pellkartoffeln mit Sauerrahm und diskutierten dabei über die jüngsten Fortschritte in der Medizin. Szukalski, der sich bis dahin nur unwesentlich an dem Gespräch beteiligt hatte, beugte sich vor und sprach die beiden Wissenschaftler an.
»Ihre neuesten Forschungsergebnisse haben mein größtes Interesse geweckt, meine Herren. Können Sie mir sagen, wie lange es dauern wird, bis der Agglutinationstest und der Test zur Komplementbindungs-Reaktion allgemein zur Anwendung kommen?«
Der Mikrobiologe aus Berlin antwortete: »Ich denke, in ein paar Monaten wird es soweit sein. Die Tests sind in der Durchführung etwas langwierig und teuer, doch unbedingt zuverlässig, wenn man mit der Diagnose im Zweifel sein sollte.«
{322} Jan Szukalski verbarg seine Hände unter dem Tisch und preßte sie zusammen. Er versuchte, mit unbeschwerter Stimme weiterzusprechen. »Und wie lange nach Verschwinden der Symptome kann man mit diesen Tests Fleckfieber nachweisen?«
Jetzt ergriff der andere Wissenschaftler das Wort. »Hier liegt ein weiterer Vorteil unserer Tests gegenüber den bisher gebräuchlichen«, meinte er lächelnd. »Wie Sie wissen, Herr Kollege, sind die Antikörper gegen Fleckfieber drei Monate nach Abklingen der Krankheit mit dem Weil-Felix-Test nicht mehr nachweisbar, so daß er für die Analyse des Blutes eines ehemaligen Fleckfieberpatienten sechs Monate später praktisch wertlos ist. Mit der Komplementbindungs-Reaktion wird es nun möglich sein, die Antikörper über mehrere Monate, vielleicht sogar Jahre hinweg, nachzuweisen.«
Szukalski starrte die beiden Männer entgeistert an. Seine Hände waren so fest ineinander verkrampft, daß sie schmerzten.
Vielleicht über Jahre hinweg
… Das bedeutete, daß man alle angeblichen Fleckfieberpatienten in Sofia nachträglich überprüfen und dabei herausfinden konnte, daß kein einziger die Krankheit wirklich gehabt hatte …
»Ich möchte Ihnen zu Ihrer Arbeit gratulieren«, hörte er sich sagen und wunderte sich, daß er noch lächeln konnte. »Wirklich eine großartige Leistung.«
Er blieb nicht bis zum Ende des Symposiums und verließ Krakau voll Sorge und Schwermut. Er hatte schon vorher gewußt, daß er bei dem Expertentreffen etwas erfahren könnte, was ihm und Maria zu denken geben würde. Aber mit solchem Sprengstoff hatte er nicht gerechnet. Jetzt konnte der Weil-Felix-Test nicht nur doppelt überprüft werden; es war nun auch möglich, Patienten zu untersuchen, deren Fleckfiebererkrankung schon lange zurücklag. Und das mit Tests, die unwiderlegbar waren.
»… Ich denke, die Tests werden in ein paar Monaten allgemein verfügbar sein …«
Obwohl Szukalski in großer Sorge aus Krakau abreiste, tröstete er sich damit, daß kein ihm bekannter Kollege aus seinem Fachgebiet dem Symposium beigewohnt hatte. Doch darin irrte er sich. Einer hatte daran teilgenommen; ein Mann namens Fritz Müller.
{323} 25
Der Augenblick, dem sie seit zweieinhalb Jahren mit Schrecken entgegensahen, war schließlich gekommen.
Die Verschwörer saßen in vertrauter Runde in der Krypta der Kirche und blickten im Dämmerlicht in die Gesichter derer, die zu lieben und zu achten sie während der langen Monate gelernt hatten. Die Gefahren, denen sie gemeinsam begegnet waren, hatten die fünf eng zusammengeschweißt und sie in einer Art Blutsbruderschaft vereint. Und weil nun das Ende nahte, mit dem sie immer rechnen mußten, war die Stimmung gedrückt, als Szukalski mit trauriger Stimme zu sprechen begann:
»Was ich in Krakau erfahren habe, meine Freunde, bedeutet für uns das Ende. Wie es scheint, hat die Wissenschaft eine Methode gefunden, mit der unser Schwindel aufgedeckt werden kann. Unter Anwendung der neuen Komplementbindungs-Reaktion werden die Deutschen feststellen, daß wir sie hinters Licht geführt haben. Ich denke nicht, daß uns mehr als zwei Monate bleiben, bis man uns auf die Schliche kommt.«
Die Angst und die Unsicherheit, die die Neuigkeit bei den Versammelten hervorrief, wurden etwas abgemildert, als Szukalski von den Zuständen in Krakau und von den schrecklichen Dingen berichtete, die er dort über die Konzentrationslager gehört hatte. Während das übrige Polen furchtbar unter den Deutschen
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