Nachtzug
Einwohner zu einer Versammlung bei dem Feld im Nordosten der Stadt zusammenrufen. Sorgen Sie dafür, daß jeder hingeht, Dolata, auch die Kinder. Ich werde alle über das Feld laufen lassen.«
»Aber wieso denn?«
Ein schmutziges Lächeln huschte über Schmidts Gesicht. »Wüßten Sie einen besseren Weg, um herauszufinden, ob dort noch Minen vergraben sind? Und nun hören Sie mir gut zu: Ich will, daß jeder Quadratzentimeter dieses Feldes begangen wird, ist das klar! Wenn es dort also noch irgendwelche Minen gibt, dann werden sie wenigstens von denen zur Detonation gebracht, die sie dort versteckt haben!«
»Aber Herr Hauptsturmführer! …«
»Heute mittag, Dolata! Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind hat heute mittag bei dem Feld zu sein. Und Sie, Herr Bürgermeister, werden den Inspektionstrupp anführen!«
Maria und Max brachen frühmorgens zum Bahnhof auf. Mit dem Versprechen, in ein paar Monaten zurückzukehren und ihr zwischendurch zu schreiben, stieg er bedrückt in den Zug nach Lublin. Als er schließlich losfuhr, sah er Maria noch lange nach. Auch Maria blieb noch eine Weile stehen und blickte das Gleis entlang, bis sich die letzten Rauchwolken des Zuges in der Ferne aufgelöst hatten. Dann machte sie sich entschlossen auf den Rückweg durch den tiefen Schnee.
Auf dem Weg zum Krankenhaus erinnerte sie sich an den Einfall, den sie letzte Nacht plötzlich gehabt hatte, und spürte noch einmal, wie ihr Herz bei dem Gedanken zu rasen begann.
Fleckfieber.
Sie beschleunigte ihre Schritte, bis sie fast rannte. Sie mußte unbedingt mit Szukalski sprechen. Es gab jetzt nichts Wichtigeres.
Ihr Plan war weit hergeholt, das Risiko unermeßlich, aber es war möglich, daß er funktionierte. Ja, vielleicht war es möglich …
{112} 8
Als sie im Krankenhaus eintraf, war Dr. Szukalski schon auf Visite gegangen. Maria zog sich schnell ihren weißen Kittel über, und als sie ihren Chef bei dem Aktenschrank in der ersten Etage traf, gab sie ihm kaum Gelegenheit, sie zu begrüßen. Er war sichtlich überrascht, als sie seinen Arm ergriff und ihm aufgeregt, aber beherrscht zuflüsterte: »Ich muß Ihnen etwas erzählen. Kann ich Sie bitte sofort in Ihrem Büro sprechen?« Seine Überraschung war noch größer, als sie das Büro betraten und Maria sogleich die Tür hinter ihnen verschloß und plötzlich ausrief: »Fleckfieber!«
Er schaute sie fragend an: »Wie bitte?«
»Fleckfieber!« rief sie noch einmal, völlig außer Atem.
»Wie meinen Sie das? Hat etwa ein Patient …?«
»Nein, nein, Jan. Ihr junger Soldat. Er könnte Fleckfieber haben. Und damit würden wir verhindern, daß er wieder ins Lager zurückkehren muß. Fleckfieber, Jan!«
Er wägte eine Zeitlang ihre Worte und erwiderte dann langsam:
»Schön, Sie würden ihn wahrscheinlich nicht zum Dienst zurückhaben wollen, wenn er eine so ansteckende und gefährliche Krankheit wie Fleckfieber hat. Aber die Diagnose läßt sich durch die Weil-FelixReaktion einfach überprüfen. Es wäre unmöglich, diese Krankheit vorzutäuschen, wo sie nicht vorhanden ist.«
Maria lächelte wie eine Sphinx. »Gestatten Sie mir eine Frage, Jan. Haben Sie mir nicht erzählt, daß Sie vor zwei Jahren Experimente mit einem Fleckfieberimpfstoff durchführten, den Sie aus Proteus-Bakterien herstellen wollten?«
»Ja«, entgegnete er langsam, »so ist es.«
»Und zu welchen Ergebnissen waren Sie gekommen?«
»Daß dieser Impfstoff sich als Schutz gegen Fleckfieber nicht eignet.«
»Und was hatte es sonst noch damit auf sich, Jan?«
»Was sonst noch?« Szukalski überlegte angestrengt. »Nun, das Ergebnis der Weil-Felix-Reaktion wurde durch den Impfstoff beeinflußt …« Seine Stimme verlor sich, ein Ausdruck des Erstaunens legte sich auf sein Gesicht. »Maria«, erklärte er voller Aufregung, »mein Testimpfstoff beeinflußte die Weil-Felix-Reaktion so, daß sie falsch positive Resultate ergab!«
{113} »Haben Sie sich jemals über die Ergebnisse Ihrer Forschungen mit jemandem unterhalten?«
Szukalski sprach jetzt schneller. »Nein, ich habe nie ein Wort darüber verloren. Mir erschien es damals nicht wichtig, daß ich zufällig ein Mittel entdeckt hatte, das eine ernsthafte Erkrankung fälschlicherweise positiv anzeigte und sich als Impfstoff nicht eignete.« Er verzog sein Gesicht zu einem schiefen Grinsen. »Und außerdem war es genau zu der Zeit, als die Deutschen einfielen, so daß ich meine Forschungen abrupt beenden mußte. Maria, das ist ja
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