Nachtzug
unglaublich!«
»Noch eins, Jan«, fuhr sie überstürzt fort. »Verstehe ich recht? Wenn wir einen Impfstoff auf der Basis von Proteus-Bakterien herstellen und ihn jemandem verabreichen, dann wird eine Untersuchung seines Bluts nach ungefähr einer Woche ergeben, daß er Fleckfieber hat, auch wenn er in Wirklichkeit gesund ist. Stimmt das so?«
»Ja, das ist richtig«, murmelte er, während er sich von ihr abwandte und sich mit der Hand durchs Haar fuhr.
»Und niemand außer uns weiß, daß es möglich ist, Jan?«
Szukalski ließ sich in den Sessel zurückfallen und breitete die Arme auf dem Schreibtisch aus. »Ja, niemand sonst weiß von dieser Entdeckung, es sei denn, daß man sie gleichzeitig irgendwo anders gemacht hat, was ich allerdings bezweifle. Aber eines haben Sie vergessen.«
Maria setzte sich ihm gegenüber hin und verschränkte die Hände.
»Und was, bitte schön?«
»Die Ergebnisse sind noch nie an Menschen überprüft worden. Alle meine Resultate basieren auf Tierversuchen.«
»Gibt es irgendeinen Grund für Sie, anzunehmen, daß Menschen anders reagieren würden?«
»Nein, eigentlich nicht. Ich bin mir fast sicher, daß die Antigen-Antikörper-Reaktion die gleiche wäre. Ich habe aber niemals erwogen, meine Ergebnisse an Menschen zu überprüfen, da sich schon bei den Tieren herausgestellt hatte, daß der Impfstoff nicht wirkte.«
»Ich denke, Sie sollten einen Versuch wagen, Jan.«
Er strich sich mit der Hand über die Stirn. »Mein Gott, was für eine Idee, Maria! Jetzt haben Sie mich wirklich neugierig gemacht.«
»Na, dann los. Es ist unsere einzige Hoffnung. Vorausgesetzt, der Proteus-Impfstoff führt wirklich zu falsch positiven Ergebnissen, wie Sie behaupten.«
{114} »O ja, das tut er.« Er lächelte spitzbübisch. »Ich weiß noch genau, wie ich mich über die falsch positiven Resultate ärgerte.«
»Wann besucht der Soldat Sie wieder?«
»Morgen früh.«
Maria nickte und entspannte sich nun spürbar. Da wurde ihr plötzlich ein Problem deutlich, das sie bisher nicht bedacht hatte. »Jan, können Sie diesem Soldaten trauen? Woher wollen Sie wissen, daß es sich nicht um einen Spion handelt, der uns aufstacheln und so Dieter Schmidt einen Vorwand liefern will, uns auszuschalten?«
»Wissen Sie, Maria, genau das gleiche habe ich auch überlegt, als mir Pfarrer Wajda das erste Mal von dem Jungen berichtete. Aber wenn Sie ihn gesehen hätten, Maria, als er seine Geschichte erzählte …«
Jan erhob sich aus dem Sessel, ging zu dem Kaminsims und lehnte sich dagegen. »Wie dem auch sei, jedenfalls ist es einen Versuch wert. Eigentlich haben wir jeden Anlaß, davon auszugehen, daß es funktioniert. Nur …«
»Nur was?«
»Ich könnte Schwierigkeiten damit haben, noch einmal die richtigen Bakterien zu isolieren, denn ich habe alle Proben verloren, als die Deutschen vor zwei Jahren das Krankenhaus plünderten. Sie haben alle meine Reagenzgläser mit den Bakterien zerstört, um zu verhindern, daß ich das Trinkwasser vergifte, wie sie behaupteten.«
»Um welchen Proteus-Stamm handelte es sich?«
» OX -19.«
»Wie gedenken Sie, ihn zu isolieren?«
»So wie ich es vorher schon gemacht habe: indem ich ihn dem Urin eines echten Fleckfieberkranken entnehme und anzüchte. Aus nicht näher bekannten Gründen findet man das Proteus-Bakterium im Urin von Fleckfieberkranken, auch wenn es nicht die Ursache der Erkrankung darstellt. Mein Plan ist so gedacht, daß wir Keppler einen Impfstoff auf Proteus-Basis verabreichen, ohne ihm die Erkrankung selbst zu übertragen.«
»Es gibt da einen Fall von Fleckfieber auf einem Hof hier in der Nähe.«
»Ja, er ist mir bekannt. Wir werden heute noch jemanden hinschicken, um eine Urinprobe des Kranken zu bekommen. Wenn wir Glück haben, enthält sie Proteus-Bakterien.«
{115} »Sie können Rudolf Bruckner schicken, denn im Labor ist heute nicht viel los. Und er wird sich auch nichts dabei denken. Wir werden so tun, als handle es sich um eine routinemäßige Urinuntersuchung.«
Szukalski nickte. »Und wenn er schon mal dabei ist, soll er auch gleich eine Blutprobe entnehmen; wir müssen nämlich sicher sein, daß der alte Mann auch wirklich Fleckfieber hat. In der Zwischenzeit werde ich etwas Bouillon und den Nährboden vorbereiten, damit wir die Kulturen anzüchten können.«
Sie erhob sich und ging ein paar Schritte zur Tür, dann blieb sie noch einmal stehen, drehte sich um und meinte: »Jan, Sie müssen mir etwas erklären.«
»Ja
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