Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nachtzug

Titel: Nachtzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood , Gareth Wootton
Vom Netzwerk:
Angelegenheit falsch angehen. So können sie nicht gewinnen, sie werden die Nazis nur noch wütender machen.«
    Den Rest des Weges waren die zwei Männer nachdenklich und schweigsam. Um diese späte Uhrzeit wirkte die Umgebung kalt und geheimnisvoll, die Baumskelette, die an Wogen gemahnenden Schneeverwehungen und die flüchtigen Schatten vermittelten ihnen den Eindruck einer fremdartigen, außerirdisch wirkenden Landschaft. Als Dr. Szukalski auf dem Hof der Wilks ankam, hatten die beiden längere Zeit kein Wort mehr gewechselt.
    Das Häuschen der Wilks, mit einem Reetdach gedeckt und aus Kalkstein erbaut, stand am Rande eines langen, schmalen Streifens Ackerland und war typisch für die Bauernhäuser in diesem Teil Polens. In dem schlichten Haus, das von Kümmelgeruch erfüllt war und über dessen schmutzigen Boden man Sand gestreut hatte, lebten sieben Menschen in einem einzigen Raum. Daneben stand ihnen nur noch der Heuboden zur Verfügung. Als er an der massiven Tür anklopfte, erinnerte sich Szukalski an die Zeit, als die Wilks noch angesehene, gesunde und wohlhabende Bauern gewesen waren, die von ihrem Land lebten und ihre Überschüsse für ein paar Annehmlichkeiten des Lebens ausgaben. Aber dann war der Krieg angebrochen, und die Deutschen hatten den gesamten Besitz beschlagnahmt, der ihrer Familie seit Generationen gehört hatte. Von einem Tag auf den anderen waren die Wilks auf den Stand von Leibeigenen degradiert worden, {118} die den Deutschen den größten Teil ihrer Ernte und all dessen ausliefern mußten, was sie produzierten, und seitdem fristeten sie dieses Dasein in bitterster Armut.
    Man führte den Priester und den Arzt in den hinteren Teil des engen Raumes, wo man auf einem provisorischen Altar über dem Kamin eine Marienstatue aus Gips aufgestellt hatte, die von vielen Kerzen beleuchtet wurde. Und in diesem finsteren, abgeschiedenen Winkel lag der alte Wilk auf dem Boden; nur eine Decke verhinderte, daß er gänzlich dem Staub ausgesetzt war. Dr. Szukalski kniete als erster nieder, während die übrige Familie, Sohn Wadek, seine Frau und ihre vier gähnenden Kinder, ihm zuschauten. Doch unmittelbar darauf erhob er sich schon wieder und trat einen Schritt zurück. »Meine Kunst wird hier nicht länger benötigt, Herr Pfarrer. Jetzt sind Sie gefragt.«
    Wajda nickte und bat die Familie höflich, aber bestimmt, oben auf dem Heuboden zu warten, um dann das heilige Sakrament zu verabreichen. Während er die Augenlider, die Nase, Mund, Ohren, Hände und Füße mit heiligem Öl benetzte, murmelte er: »Gehe in Frieden, o christliche Seele«, und machte das Kreuzzeichen. Nachdem der Priester sich wieder aufgerichtet hatte, kam Wadek Wilk wie auf ein Signal vom Heuboden herunter, von wo Klagelaute herunterdrangen. Als er die Tränen in den Augen des großen Mannes sah, fiel es Szukalski schwer, das in dieser Situation Notwendige zu sagen.
    In möglichst einfachen Worten erklärte er dem ungebildeten Mann, daß die Krankheit, an der sein Vater gestorben war, auch seine Familie treffen könnte. Sie sei von einem Erreger verursacht, der von Läusen übertragen werde. Das gesamte Bettzeug und die Kleidung des Verstorbenen wie auch das gesamte übrige Bettzeug und die Kleidung sollten sofort behandelt werden.
    »Nehmen Sie ein Faß,
Panie
Wilk, und bohren Sie Löcher in den Boden. Stecken Sie alle Ihre Kleider rein, und dichten Sie es dann mit einem Deckel ab. Und dieses Faß stellen Sie dann über einen Bottich mit kochendem Wasser und setzen es eine Stunde dem Dampf aus. Verstehen Sie, was ich meine?«
    Der Bauer nickte dumpf, Tränen rannen ihm übers Gesicht. Jan sah sich um. Natürlich. Es gab keine Uhren. Wieso sollte ein Milchbauer seine Zeit auch nach etwas anderem als der auf- und untergehenden Sonne bemessen?
    {119} »Setzen Sie es sehr, sehr lange unter Dampf,
Panie
Wilk. Sie müssen alle Läuse töten. Suchen Sie Ihr Haar und das Ihrer Kinder ab. Wenn Sie verhindern wollen, daß Sie dieselbe Krankheit bekommen wie Ihr Vater, dann müssen Sie sauber sein. Haben Sie das verstanden?«
    Der Mann nickte erneut.
    Dann sprach Szukalski sein Beileid aus und versicherte dem Bauern, daß er sofort kommen würde, wenn jemand anderes auf dem Hof erkrankte.
    Bald nachdem sie ihre Pflicht erfüllt hatten, stapften der Priester und der Arzt durch den Schnee zu dem alten Chevrolet. Während der Motor warmlief, meinte Piotr Wajda: »Ist eine Epidemie zu befürchten?«
    »Nein, sie leben ja isoliert. Niemand wird

Weitere Kostenlose Bücher