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Nachtzug

Titel: Nachtzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood , Gareth Wootton
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ganz Wissenschaftler, klebte schließlich noch ein Etikett auf den Kartondeckel:
    PROTEUS - FAKTOR
    Stapel Nummer: I
    Volumen: 1000 cm 3
    Datum: 30. Dezember 1941
    Der Gestapo-Mann, der Hans und Anna anhielt und sie nach ihrem Ziel und ihren Papieren fragte, bemühte sich nicht, seine Verachtung zu verbergen, und erst, als er den Rang und Status von Keppler erfuhr, sah er sich unwillig zu einem gebührenden Verhalten gezwungen und ließ die beiden weitergehen.
    Doch Keppler hatte sich seine gute Stimmung nicht verderben lassen, und während sie weiter die Straße hinunterschlenderten, sagte Anna bedrückt: »Sie fragen sich, warum du dich mit mir rumtreibst; sie glauben, daß ich nicht der richtige Umgang für dich bin.«
    Hans zwang sich zu einem Lächeln und griff nach ihrer Hand. »So etwas darfst du nicht denken,
kochana
Anna! Sie waren eifersüchtig, das ist alles; sie wundern sich wohl, wer ich bin, daß ich mit dem hübschesten Mädchen der Stadt ausgehe!«
    Sie lief rot an. »Du bist wirklich lieb, Hans Keppler.«
    »Hast du das auch deinen Eltern gesagt?«
    »Ich habe ihnen nur sehr wenig erzählt, und sie bedrängen mich auch nicht. Sie wollten nicht einmal wissen, warum ich dich ihnen nicht {163} vorgestellt habe. Sie scheinen zu spüren, was in diesen Zeiten das Richtige ist.«
    Trotz der ungewöhnlich vielen Deutschen, die in den Straßen patrouillierten, war der Winterabend wunderbar und angenehm. Die Luft war kalt und klar, der tiefrote Himmel dunkelte rasch und wurde allmählich von Sternen überzogen. Während er Hand in Hand mit Anna durch den Schnee stapfte, versuchte Hans verzweifelt, sich an diesen Augenblick zu klammern, aber es fiel ihm überaus schwer. Irgend etwas beschäftigte ihn.
    »Anna, wir müssen uns eins klarmachen. In sieben Tagen ist mein Urlaub hier zu Ende, und es gibt keine Möglichkeit, ihn zu verlängern. Ich kann dir auch nicht sagen, wann und ob ich nach Sofia zurückkehren werde. Wer weiß, was in diesem Krieg noch …«
    »Ich will nicht, daß du davon sprichst, nicht heute abend. Du hast mir versprochen, wir würden einen heiteren Abend verbringen.«
    Er blickte auf ihr Gesicht hinab und fühlte, wie es ihm fast das Herz zerriß. Es war ihm so leichtgefallen, sich in sie zu verlieben, aber daß es ihm untersagt war, ihr seine Geheimnisse anzuvertrauen, konnte er nur schwer ertragen. Erst als er sich selbst versicherte, daß sein Schweigen für sie am besten war und ihrer Sicherheit diente, gelang es ihm, seine plötzliche Vertrauensseligkeit zu unterdrücken und zu verhindern, daß er ihr alles erzählte.
    Mit schweren Schritten gingen sie die Straße zum Kino hinunter. »Da ist ja eine Schlange!« rief Anna.
    »Bei
Dick und Doof
immer.«
    Sie stellten sich an und gingen mit den übrigen Besuchern langsam weiter. Dann kauften sie ihre Karten und setzten sich in eine der vorderen Reihen. Während sie beobachteten, wie das übrige Publikum die Plätze vorne und im Parkett besetzte oder sich entlang der Wände aufstellte, neigte sich Hans Keppler zu Anna hinunter und murmelte: »Morgen abend gibt es eine Neujahrsfeier im Weißen Adler, und die Sperrstunde wird aufgehoben. Willst du mich begleiten?«
    Er sah, wie sie mehrmals nickte. Dann gingen im Saal die Lichter aus.
    Keppler richtete den Blick auf die Leinwand und lehnte sich zurück, während der Vorspann vor seinen Augen ablief. Er versuchte die bedrückenden Gedanken zu vertreiben: das bevorstehende Ende seines {164} zweiwöchigen Urlaubs, die geheimnisvolle Injektion, die Szukalski ihm verabreichen wollte, die Tage des Wartens danach …
    Plötzlich hatte er das Gefühl, es nicht mehr aushalten zu können. Seine Probleme drohten ihn zu überwältigen, er wollte gerade aufspringen und aus dem überfüllten Kino stürzen, da flimmerte plötzlich die erste Szene des Films über die Leinwand. Hans Keppler fühlte, wie er, gemeinsam mit dem übrigen Publikum, beim Anblick des fetten Mannes und des dürren Hänflings mit ihren Melonenhüten zu kichern anfing und sein Gewissen sich allmählich beruhigte. Und es gelang ihm, für den Rest des Abends in die verrückte Welt des liebenswerten, schlanken und unbekümmerten Laurel und seines fetten, mürrischen Freundes Hardy einzutauchen.
     
    Es war genau acht Uhr, als Hans Keppler am nächsten Morgen die mittelalterlichen Stufen der Sankt-Ambroż-Kirche hinaufstieg. Da er nicht genau wußte, wohin er gehen sollte, schlüpfte er leise in die Kirche, zog seine Wollmütze ab und

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