Nachtzug
Menschen hier in der Umgebung von Sofia ebenfalls eine Krankheit vorzutäuschen, so daß am Ende der Eindruck entsteht, als wäre eine Epidemie ausgebrochen. Wir hoffen, daß daraufhin eine Quarantäne verhängt wird.«
Keppler nickte. Er blickte Maria Duszynska an, deren Gesicht leichenblaß war, als wäre sie einem der Sarkophage entstiegen. Schließlich wandte er sich Pfarrer Wajda zu, der sehr ernst wirkte. »Die Idee ist nicht uninteressant. Aber die Deutschen reinlegen?« Keppler schüttelte den Kopf. »Vielleicht eine Woche oder auch einen Monat, aber am Ende würden sie die Wahrheit herausfinden und jeden in der Stadt erschießen. Sofia ist für die Deutschen wichtig, Herr Doktor, aber nicht seine Einwohner.«
»Wir müssen es versuchen«, entgegnete Szukalski sanft, »so wie Sie es versuchen müssen. Wir müssen auch sicher sein, daß wir Ihre völlige Unterstützung haben, wenn wir beschließen, den Plan umzusetzen. Wir werden Ihre Hilfe benötigen.«
»Natürlich werde ich Ihnen helfen. Ich werde tun, was immer Sie von mir verlangen.«
{167} »Dann wollen wir weitermachen. Erinnern Sie sich, Keppler: Ich werde mich in fünf oder sechs Tagen an die deutschen Behörden wenden müssen und ihnen mitteilen, daß Sie krank sind und daß ich Fleckfieber bei Ihnen vermute. In sieben Tagen werde ich Ihnen Blut abnehmen und es an das von den Deutschen kontrollierte Zentrallabor in Warschau schicken. Sie werden mich dann informieren, ob Ihre Weil-Felix-Reaktion positiv ausgefallen ist, was meine Diagnose bestätigen würde, oder negativ, woraus ich schließen müßte, daß es sich bei den Proteus-Bakterien nicht um den OX -19-Stamm handelt oder daß die Reaktion bei Menschen nicht die gleiche ist wie die bei Meerschweinchen. Um jeden Verdacht zu vermeiden, sollten Sie die Symptome von Fleckfieber kennen, so daß Sie sie vortäuschen und wir Sie in unser Krankenhaus aufnehmen können.«
Szukalski wandte sich von ihm ab und bat Maria: »Würden Sie ihm bitte erklären, was Fleckfieber ist und welche Symptome bei ihm auftreten müßten?« Dann machte er sich wieder an dem Tisch zu schaffen, öffnete die erste Phiole mit dem Impfstoff, zog einen Kubikzentimeter in eine Spritze auf, hielt sie hoch und drückte die kleinen Luftbläschen durch die Kanüle.
Keppler legte seinen Mantel ab und streifte den Ärmel seines Hemdes hoch, um den Oberarm freizulegen. Szukalski reinigte die Haut mit einem in Alkohol getränkten Wattetupfer und injizierte dann den Impfstoff tief in den Armmuskel. Keppler zuckte kurz zusammen.
»Das hätten wir«, meinte Szukalski, während er die Nadel zurückzog und die Injektionsstelle mit dem Wattebausch rieb. »Das war unser erster Schritt.«
»Dr. Duszynska, Sie wollten mir doch erklären, welche …«
»Ja, stimmt.« Sie wandte ihren Blick von der Injektionsnadel ab und hob den Kopf. »Ein typischer Fleckfieberfall beginnt ziemlich akut mit Schüttelfrost und Fieber, das recht schnell auf Werte zwischen neununddreißig und vierzig Grad steigt. Kopf- und Muskelschmerzen, Schwindelgefühl und Schlaflosigkeit treten hinzu. Sie müssen diese Symptome vorspielen, und dann werden wir Sie ins Krankenhaus aufnehmen, wahrscheinlich morgen. Sie müssen Ihre Großmutter davon überzeugen, daß Sie krank werden, so daß sie einen Arzt ruft. Wenn es Ihnen möglich ist, dann legen Sie sich eine Zeit {168} lang ein sehr heißes Handtuch auf die Stirn, bevor Sie ihr sagen, daß Sie sich krank fühlen. Wenn sie Ihnen dann eine Hand auf die Stirn legt, was bestimmt der Fall ist, wird sie den Eindruck haben, daß Sie wirklich hohes Fieber haben.«
»Muß es noch heute nacht sein?«
Die beiden Ärzte nickten.
»Ich werde es versuchen; ich gehe in den Weißen Adler zum Neujahrsball.«
»Um so besser. Klagen Sie vor jedem, mit dem Sie zusammenkommen. Aber da gibt es noch eine Sache, die wir klarstellen müssen«, Szukalski räusperte sich, und das Geräusch hallte von den alten Wänden zurück. »Wenn die Weil-Felix-Reaktion negativ ausfällt, dann werden wir die Diagnose für Sie einfach in eine Grippe umwandeln, und Sie sind wieder sich selbst überlassen. Wir werden nicht genug Zeit haben, um einen neuen Impfstoff an Ihnen auszuprobieren, bevor Ihr Urlaub zu Ende ist.«
»Dann werde ich heute nacht richtig feiern, Doktor. Morgen beginnt das neue Jahr und möglicherweise ein neues Leben für mich. Ich werde mir diesen Abend festlich gestalten.« Er setzte ein schiefes Grinsen auf. »Ich bin mit einer
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