Nachtzug
kniete vor dem fernen Altar nieder. Dann wartete er ab.
Bald hörte er Schritte und sah Pfarrer Wajda aus dem Schatten auftauchen. »Guten Morgen«, begrüßte ihn der Priester freundlich, als handle es sich um einen ganz gewöhnlichen Tag.
»Guten Morgen, Vater. Bitte sagen Sie mir etwas.«
»Was denn?«
»Glauben Sie, daß es für mich noch einmal eine Zeit geben wird, wo ich in einer Kirche nicht nervös bin?«
Wajda blickte auf einmal hilflos und antwortete in einem tröstenden Ton: »Wenn Sie nach und nach Frieden mit sich selbst schließen, mein Freund, werden Sie auch Ihren Frieden mit Gott finden. Folgen Sie mir jetzt bitte.«
Pfarrer Wajda öffnete eine kleine Pforte in der Apsis der Kirche, und Hans Keppler fand sich plötzlich in dem erhöhten, mit geschnitztem Chorgestühl und Skulpturen versehenen Chorraum wieder.
»Man hat natürlich hier geplündert«, flüsterte der Priester, während er über die Altarstufen voranging und schließlich einen Abgang betrat, der im Dunkeln verborgen war. »Als die Nazis vor zwei Jahren kamen, haben sie die Kirche ausgeraubt und fast alle Goldgeräte und sonstigen wertvollen Gegenstände mitgenommen. Aber die Schnitz {165} figuren, die Sie in den Seitenflügeln des Hauptaltars sehen, sind echt und wurden bereits 1407 dort aufgestellt. – Wir sind da.«
Er zog einen Schlüssel aus der Tasche seiner Soutane und steckte ihn in das Eisenschloß, das an der Tür zur Krypta angebracht war. Die Angeln, inzwischen geölt, gaben kein Geräusch von sich, als die Tür sanft geöffnet wurde – im Gegensatz zum ersten Mal, als Wajda mit Szukalski hier den Inkubator hinuntergetragen hatte. Er zog die Tür hinter sich zu und verschloß sie. »Seien Sie ab jetzt vorsichtig«, ermahnte er ihn flüsternd, »diese Stufen sind stark ausgetreten, so daß man leicht ausgleitet.«
Sie stiegen langsam in die unterirdische Kammer hinab, die direkt unter dem Altar lag, und Keppler spürte, wie sich seine Augen an das Dunkel gewöhnen mußten.
Schließlich kamen sie unten an, und Keppler rümpfte die Nase, als ihm die unangenehm stickige, nach Moder riechende Luft entgegenströmte. Er dachte daran, daß sie dieselbe Luft einatmeten wie die Priester im Mittelalter, die dort vor langer Zeit ihre Toten bestattet hatten.
Dann erblickte er Dr. Szukalski und Dr. Duszynska, die in einer Ecke an einem kleinen Tisch arbeiteten.
»Sie brauchen nicht nervös zu sein, Keppler«, meinte Szukalski, der erkannte, daß der junge Mann durch die ungewohnte Umgebung etwas von seiner Selbstsicherheit verlor. »Wir haben diesen besonderen Ort nicht Ihretwegen für unsere Arbeit ausgewählt, sondern weil wir vielleicht unser Experiment etwas ausdehnen.« Jan Szukalski bemühte sich, ihn zu beruhigen. »Glauben Sie mir: Was Sie sehen, haben wir nicht Ihretwegen aufgebaut. Wenn es nur um Sie ginge, dann hätten wir auch alles im Krankenhaus versuchen können.«
»Das Experiment ausdehnen?«
»Ja, auf andere ausdehnen. Wenn wir Sie vor den Deutschen retten können, warum sollten wir es dann nicht auch mit anderen schaffen?«
Obwohl er flüsterte, hatte die Stimme des Arztes in der Krypta eine eigenartige Resonanz.
»Setzen Sie sich«, forderte Jan ihn auf und wies auf einen der Klappstühle, die zu der spartanischen Ausstattung gehörten. »Wir haben den Impfstoff, von dem ich Ihnen erzählte, zubereitet, aber es gibt {166} noch ein paar Dinge, auf die ich Sie hinweisen möchte, bevor wir die Injektion vornehmen.«
»Sie erwähnten, mit der Spritze sind ein paar Risiken verbunden.«
»Ja, es bestehen Risiken. Ich denke, daß sich Ihr Arm an der Injektionsstelle wahrscheinlich entzünden wird und daß Sie ein oder zwei Tage leichtes Fieber haben werden. Nichts Ernstes also, zumindest hoffen wir es. Aber ich habe Sie ja vorher schon darüber aufgeklärt, daß es zu einer völlig unerwarteten und nicht kontrollierbaren Reaktion kommen und diese tödliche Folgen haben kann.«
»Sie haben recht, Doktor, dies wäre wirklich eine ernsthafte Komplikation; aber immerhin würde mir so die Rückkehr ins Lager erspart.«
Szukalski lächelte nicht über diese Bemerkung, sondern erwiderte düster: »Sie könnte den Tod für uns alle bedeuten; nichts wäre Dieter Schmidt lieber, als uns den Tod eines SS -Mannes in die Schuhe zu schieben.«
»Doktor, wie wollen Sie weiter vorgehen, wenn Ihr Impfstoff so wirkt, wie Sie es sich vorstellen?«
»Wenn es klappt, Keppler, dann werden wir versuchen, bei anderen
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