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Nachtzug

Titel: Nachtzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood , Gareth Wootton
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im Labor den Arsch ab, und zu Hause dann dieselbe Scheiße!« brummte er.
    Ohne den Mantel abzulegen, ließ sich der schmächtige Rudolf Bruckner auf das Sofa fallen und blickte mürrisch ins Feuer.
    »Bist du es, Rudolf?« rief eine Stimme aus dem kleinen Raum, der als Küche und Eßzimmer diente.
    Bruckner gab keine Antwort.
    Kurz darauf erschien ein kräftiger junger Mann mit kantigem Gesicht und entblößtem Oberkörper, auf dem sich deutlich seine wohlgeformten Muskeln abzeichneten. Er füllte mit seinen breiten Schul {173} tern nahezu den Türrahmen aus, als er sich auf polnisch mit einem schwachen, nicht näher bestimmbaren Akzent an den Laboranten wandte. »Was ist los, Rudolf?«
    »Du Arschloch«, brummte sein Freund, der nicht aufblickte, »du bist wirklich das dümmste Arschloch, das mir je begegnet ist. Ich schrubbe mir die Finger wund, um hier alles so sauber wie möglich zu halten, und du kommst hier mit deinen verdammten triefenden Füßen rein und schließt nicht einmal die Tür, damit dieses lausige Loch warm bleibt. Du weißt doch, wie schlecht ich die Kälte vertrage.«
    »Rudolf, Rudolf.« Sergej ging auf das Sofa zu und zeigte sich unbeeindruckt. »Es war so warm, als ich heimkehrte, daß ich das Fenster geöffnet habe, um ein bißchen frische Luft hereinzulassen. Komm schon, so schlimm ist es nun auch wieder nicht, oder?«
    Er legte seinen breiten, kräftigen Arm um Bruckners Schulter und tätschelte ihn zärtlich. »Erzähl mal, wie war dein Tag?«
    Bruckner lehnte sich seitlich auf dem Sofa zurück und legte seinen Kopf auf ein Kissen. »Derselbe Mist wie immer. Was für eine langweilige, undankbare Arbeit! Sergej, ich bin das Labor so leid. Ich würde alles geben, um rauszukommen.«
    »Es gibt Tage, da sprichst du anders.«
    »Ja, an meinen verrückten Tagen. Aber die Ärzte gehen mir auf die Nerven. Wer weiß, was sie vorhaben? Wer kann sie durchschauen?«
    »Was ist denn passiert?«
    »Oh, eigentlich nichts Besonderes. Vor ein paar Tagen habe ich entdeckt, wie die beiden nachts im Labor an irgendwas arbeiteten, und nachdem sie gegangen waren, beschloß ich, mir alles mal näher anzusehen. Verdammt noch mal, so wie sie sich anstellen, muß wirklich irgendein Geheimnis dahinterstecken.«
    »Was hast du denn gefunden?«
    »Nichts. Eine wertlose Proteus-Kultur. Wer weiß, was sie damit anfangen wollen? Zur Hölle mit ihnen, mir ist es auch egal.«
    »Ich mache dir was zu trinken.«
    Rudolf Bruckner klagte weiter: »So kann es einfach nicht weitergehen! Irgendwo muß doch ein Ausweg sein!«
    »Wenn du so redest, machst du mir angst, und das weißt du. Hier, {174} bitte schön.« Sergej reichte seinem Freund ein Glas Wodka und setzte sich zu ihm auf das Sofa.
    Bruckner murrte und nahm einen Schluck.
    »Heute habe ich Schweineschnitzel besorgt«, fuhr Sergej fort und überlegte, was er sagen konnte, um seinen Freund aufzumuntern. »Frische Schweineschnitzel, und es war kein Problem, sie zu bekommen; keiner hat mich gesehen. Außerdem haben wir noch drei Kartoffeln. Hilf mir beim Kochen, Rudolf, es wird dir gefallen. Und nachher massiere ich dich dann. Gegen eine Massage hast du doch nie was einzuwenden.«
    Bruckner erwiderte nichts und trank noch einen Schluck Wodka. Noch etwas machte ihm Sorgen, etwas, was nichts mit dem seltsamen Verhalten der Ärzte zu tun hatte. Aber er konnte es seinem Mitbewohner nicht sagen, denn was dem Laboranten zusetzte, konnte er niemandem anvertrauen, nicht einmal seinem einzigen Freund.
    Rudolf Bruckners eigentliche Aufgabe in Sofia war nicht die Laborarbeit, sondern Spionage. Die Anstellung im Krankenhaus diente nur der Tarnung, in Wirklichkeit arbeitete Bruckner für den SD , den Nachrichtendienst der SS . Man hatte ihn ein paar Monate nach der Invasion hierhergeschickt, als der Widerstand in Polen um sich zu greifen begann, und Bruckners Auftrag hatte in den vergangenen anderthalb Jahren darin bestanden, Partisanen aufzustöbern und Informationen über sie an den örtlichen Kommandanten, Dieter Schmidt, weiterzuleiten.
    Doch Bruckners Arbeit war bisher nicht sehr erfolgreich gewesen, und zwar aus dem einfachen Grund, daß es ihm schwerfiel, Freunde zu gewinnen.
    Er wußte, daß ein guter Spion die Gabe besitzen mußte, sich in die Reihen jener einzugliedern, die er ausspionieren sollte, er mußte Vertrauen gewinnen, um unauffällig Geheimnisse ausspähen zu können. Aber Bruckner war der ihm zugedachten Aufgabe nicht gewachsen. Obwohl er die Ausbildung und den

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