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Nachtzug

Titel: Nachtzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood , Gareth Wootton
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Scharfsinn hatte, um als Spitzel für den Geheimdienst zu arbeiten, gebrach es dem Laboranten an den notwendigen menschlichen Eigenschaften, um erfolgreich sein zu können, und – was noch schlimmer war – er wußte es.
    Diese Erkenntnis wühlte ihn jetzt auf, und er brütete über seine Unzulänglichkeit, die er durch nichts zu kompensieren vermochte.
    {175} Die Sabotageakte in der Gegend waren offensichtlich auf das Wirken einer Widerstandsgruppe zurückzuführen, und sie mußte irgendwo in der Nähe sein, hatte ihr Hauptquartier vielleicht sogar in Sofia selbst. Aber wie sollte man sich dort einschleusen? Wie ihr Vertrauen gewinnen und ihre Geheimnisse erfahren? Bruckners Vorgesetzte übten Druck auf ihn aus, die Partisanen zu finden und sie an Schmidt auszuliefern.
    Er blickte finster in sein Glas. Bisher hatte er nicht ein einziges Mal etwas über die Aktivitäten der Widerstandsbewegung in Sofia herausfinden können, und wenn er nicht bald Ergebnisse vorwies, dann war es möglich, daß er bei seinen Vorgesetzten in Ungnade fiel.
    Er dachte über die Ärzte nach, über ihre merkwürdigen Umtriebe, und über den Priester, der bei ihnen im Labor gewesen war. Er beschloß, fortan ein wachsameres Auge auf sie zu haben.
     
    Unterwegs mußten sie immer wieder anhalten, um auf deutsche Patrouillen aufzupassen, und so waren sie eine ganze Weile geritten, als sie den Waldrand erreichten und vor sich die weiten, weißen Felder erblickten.
    »Wo sind wir?« flüsterte Leokadja, die das erste Mal wieder sprach, seit sie die Höhle verlassen hatte.
    David, der über die sanft gewellten, schneebedeckten Felder und Weiden in die Ferne blickte, fröstelte es in der Abenddämmerung, die ihn in ein lavendelfarbenes Licht hüllte.
    »Der Hof meines Vaters ist in der Nähe«, sagte er mit schwermütiger, gramerfüllter Stimme. »Seit er in Schutt und Asche gelegt wurde, bin ich mehrmals hierher zurückgekehrt. Eigentlich ist alles zerstört, bis auf eine alte, baufällige Scheune, wahrscheinlich dachten die Deutschen, daß es nicht die Mühe wert ist, sie zu demolieren. Das Haus gibt es natürlich nicht mehr.«
    David starrte auf die weiße Decke, die sich bis zum Horizont erstreckte, und registrierte auch die dunklen Einsprengsel, bei denen es sich um Bauernhöfe handelte. Aus einigen Kaminen stieg spiralförmig Rauch auf; diese Höfe waren noch bewohnt, weil die Deutschen die Ernte brauchten.
    »Sie behaupten, daß es keine jüdischen Bauern gibt, daß wir alle Schneider und Juweliere sind. Aber mein Vater war Bauer, er liebte {176} seinen Boden und seine Tiere, nichts ging ihm über die Arbeit auf der eigenen Scholle. Er sparte jeden Pfennig, um mich an die Universität von Krakau zu schicken; ich sollte Mathematiker werden.«
    Mit einem sanften Druck gegen die Flanken spornte David das Pferd an, und sie ritten geschwind über die weißen Felder, deren weiße Pulverschneedecke die Geräusche der Hufe dämpfte.
    Leokadja, die sich an David klammerte, hielt Ausschau nach deutschen Patrouillen, aber schließlich gelangten die beiden zu den Ruinen des Ryż-Hofs, ohne entdeckt zu werden.
    David sprang ab und half dann Leokadja beim Absitzen, indem er seine Hände um ihre schlanke Taille legte. »Ich will mich ein wenig umsehen.« Sie verstand und nickte.
    Während die beiden nachdenklich durch den Schnee stapften, ging das Zwielicht rasch in eine matte Dämmerung über. Eine ganze Weile standen sie schweigend vor dem düsteren Fundament des Hauses. Leokadja beobachtete David, wie er den Kopf neigte und die Hände faltete. Dabei fühlte sie, wie ihr Herz sich für ihn öffnete.
    Als David sein stummes Gebet beendet hatte, war es schon völlig dunkel geworden, und die winterliche Landschaft bot mit ihren weißen Bäumen und schimmernden Sternen einen märchenhaften Anblick. Nachdem sie wieder zu dem Pferd zurückgegangen waren, blickten sie einander in der Finsternis an und fühlten, wie sich die Ruhe der Landschaft auf sie übertrug. Das Pferd schnaufte und scharrte im Schnee, weil es zu frieren begann und ungeduldig wurde. David hob eine Hand, streichelte zärtlich die breite Flanke und murmelte etwas auf jiddisch.
    »Was hast du gesagt?« wollte Leokadja wissen.
    »Ich habe ihr gesagt, daß ich sie nicht zwingen werde, heute nacht zurückzureiten. Wir werden hierbleiben müssen; zumindest die nächsten Stunden.«
    »Einverstanden.«
    David nahm die Zügel und führte das Pferd zu der verfallenen Scheune, durch deren zerbrochene

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