Nachtzug
Bretter ein eisiger Wind pfiff. Drinnen fand er etwas feuchtes Heu und einige Jutesäcke in einer Ecke. Er rief nach Leokadja. »Hier drinnen finden wir Schutz, und das Pferd kann fressen. Vielleicht können wir ja sogar Brennmaterial auftreiben …«
{177} Plötzlich jagte etwas Weißes schnell wie ein Pfeil unter dem Heu hervor und lief zwischen seinen Beinen hindurch.
»Was ist denn das?« flüsterte Leokadja aufgeregt.
David starrte dem Tier nach und begann dann zu lachen. »Eine Ente! Nein, keine Ente – ein Abendessen!«
Sogleich eilte er davon und hetzte hinter dem Vogel her, wobei er wie verrückt im Schnee hin und her hüpfte. Leokadja lachte, als sie sah, wie David hochsprang und in einer Gischt aus Schnee landete. Als er sich umdrehte und aufsetzte, hielt er die Ente im Nacken fest und jubelte grinsend: »Unser Essen!«
»Gib es mir.« Leokadja nahm ihm die Ente ab, der er den Hals umgedreht hatte, und zückte ein Messer, das sie am Gürtel trug.
»Mach uns Feuer, ich werde mich um den Braten kümmern.«
David fiel es nicht schwer, im Boden der Scheune eine Grube auszuheben und sie mit Steinen zu umgeben, die er unter dem Schnee fand. Auch das Anzünden des Feuers bereitete ihm keine Schwierigkeiten: Er riß ein paar Bretter aus einer der Scheunenwände, machte Kleinholz daraus und entzündete die trockenen Teile mit einem Streichholz. Dann nährte er die Flammen, indem er noch etwas Heu und Reisig hinzufügte, so daß jetzt ein wunderbares, beständiges Feuer für Leokadja brannte. Als David die Ente auf einen langen, geraden Stock spießte und sie über das Feuer hängte, staunte er über das Geschick, mit dem Leokadja das Tier bratfertig gemacht hatte.
»Bald können wir essen«, freute er sich. »Du hast wirklich hervorragende Arbeit geleistet.«
»Als der Krieg ausbrach, war ich ein Stadtmensch«, entgegnete sie, auf einem Jutesack neben ihm sitzend, »aber ich habe in den letzten zwei Jahren Dinge gelernt, von denen ich niemals gedacht hätte, daß sie eines Tages für mich wichtig würden.«
Er blickte sie an. Tausend Fragen brannten ihm auf der Zunge, aber er schwieg.
Leokadja lächelte fast schüchtern. »Es war nicht leicht für mich; für Frauen ist es niemals leicht.«
»Und was bewegt dich?« fragte er sanft.
»Die Hoffnung, eines Tages meinen Mann zu finden. Er wurde von den Deutschen verschleppt …« Sie seufzte tief. »Wer weiß, was ihm geschehen wird.«
{178} »Es ist jetzt zwei Jahre her?«
»Ja.«
David drehte den Spieß und schürte das Feuer, damit es besser brannte. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Leokadja zu.
»Du weißt, was mich antreibt, nicht wahr?«
»Ja«, flüsterte sie.
»Du weißt«, erklärte er mit einem traurigen Lachen, »daß der Krieg einen Menschen völlig verändern kann. Bis das alles passierte, war ich eigentlich kein richtiger Zionist, doch dann habe ich gesehen, was die Nazis meinem Volk antun, und das hat mich verändert. Abraham und ich, wir waren früher anders.«
»Das weiß ich.«
»Und mein Kampf richtet sich nicht gegen die Gois, auch wenn Brunek und die anderen das denken. Ich bin eigentlich nicht wirklich gegen irgendwen, Leokadja, ich bin für mein Volk. Kannst du das verstehen?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Am Ende läuft es auf das gleiche hinaus. Egal was uns bewegt, wir kämpfen. Ich habe andere Gründe als du, aber meine Mittel sind dieselben; das ist es, was im Augenblick zählt.«
»Stimmt wohl.«
»Weißt du, es ist das erste Mal.«
»Das erste Mal was?«
»Es ist das erste Mal, daß du mich mit meinem Namen angeredet hast.«
Er schaute ihr lange und verwundert in die Augen. Dann meinte er, fast zögernd: »Es fiel mir nicht schwer; dein Name ist wunderbar.«
»Wir sollten nichts gegeneinander haben, David.«
Er starrte auf seine Hände, seine Gesichtszüge drückten Unsicherheit aus. Und als er sprach, kamen seine Worte fast gezwungen: »Leokadja, in meinem Herzen ist kein Platz für die Liebe, und ich weiß, daß für dich das gleiche gilt. Du und ich, wir sind uns irgendwie ähnlich. Wir leben für einen einzigen Zweck. Für den Kampf.«
»Das weiß ich.«
Er blickte verwirrt zu ihr auf. »Du weißt doch, warum ich diese Nachtzüge stoppen muß, nicht wahr?«
»Ja.«
{179} »Man hat meine Eltern in einem dieser Züge fortgebracht. Ich konnte sie nicht retten, aber andere kann ich retten.«
»Ich verstehe.« Als sie das Jugendliche an ihm gewahrte, die ungestümen Regungen seines Herzens,
Weitere Kostenlose Bücher