Nackt schlafen ist bio
beschließe, das bestimmt nie wieder zu tun –, auch dann möchte ich jemanden an meiner Seite haben. Nicht nur meine Familie oder Meghan oder meine Katze, sondern jemanden, den ich innig liebe und der mich ebenso liebt, der mich in den Arm nimmt und mir sagt, dass alles gut wird, und mich ins Bett bringt.
Dann würde ich weiterhin ganz oft nackt schlafen – und das nicht nur der Umwelt zuliebe.
14. JUNI , 106. TAG
Verbandsmull statt Heftpflaster benutzen
Heute Vormittag habe ich mir in der Arbeit mit Papier in den Finger geschnitten, und das Erste, was ich dachte, war nicht etwa: »Au, verdammt!«, oder: »Steck den Finger in den Mund, das hilft«, sondern: »Hm, gibt es nicht vielleicht eine ökologischere Wundversorgung?«
Normal ist das nicht. Dennoch hat sich die Frage, wie ich jeden beliebigen Bereich meines Lebens irgendwie umweltverträglicher gestalten kann, dauerhaft in einer abgelegenen Ecke meines Oberstübchens eingenistet und taucht immer dann auf, wenn ich am wenigsten damit rechne. Überlege ich mir beispielsweise, ob ich eine Freundin anrufen oder ihr eine SMS schicken soll, ist das Entscheidungskriterium nicht, was schneller geht oder billiger ist, sondern einzig und allein, was Mutter Natur am wenigsten schadet. Wo ist der Energieverbrauch geringer, beim Telefonieren oder beim Simsen? Vielleicht sollte ich auch besser eine E-Mail senden, übers Internet telefonieren, mir eine Brieftaube suchen oder ein singendes Telegramm losschicken, das per Fahrrad ankommt. Manchmal sitze ich nur auf der Couch, tue überhaupt nichts und grüble: »Wie könnte man diese Tätigkeit umweltverträglicher ausüben? Da muss es doch etwas geben … vielleicht flacher atmen?«
Es ist wirklich ein Trauerspiel. Nun ist es also so weit gekommen, dass ich nicht einmal mehr beim Anblick meines eigenen vergossenen Blutes ein normales, nicht auf Umweltverträglichkeit hin geprüftes Verhalten an den Tag lege – das macht mir allmählich Sorgen. Umweltschutz sollte nicht so etwas Verbissenes sein und auch nicht zu so lächerlich kleingeistigen Fragen verkommen wie der nach der CO 2-Bilanz von Heftpflaster. (Obwohl man sich durchaus fragen könnte, warum Heftpflaster in nicht recycelbares Wachspapier verpackt und auf Einweg-Kunststoffrollen aufgewickelt ist und überwiegend aus Plastik, Kunstharzkleber und gebleichter Baumwolle besteht. Ich meine ja nur …)
Nachdem ich im Büro in einem vorsintflutlich anmutenden Erste-Hilfe-Päckchen eine Rolle Verbandsmull gefunden hatte, schrieb ich meinen Blogeintrag und stellte ein paar Stunden später fest, dass jemand mit dem Benutzernamen keepbreathing (weiteratmen? vielleicht ein Anästhesist?) einen Kommentar dazu abgegeben hatte: »Es ist schon erstaunlich, wie viel Müll wir [im medizinischen Bereich] erzeugen: Ich schätze, allein im Verlauf einer einzigen Reanimation könnten wir einen 75-Liter-Müllsack mit all dem benutzten und weggeworfenen Plastik, den Spritzen, Verpackungen, dem Papier und den überall herumliegenden Ampullen füllen. Dazu kommt, dass der Drucker in der Röntgenabteilung, in der ich arbeite, von jedem einzelnen Vorgang eine völlig unnötige, nicht wiederverwertbare Kopie ausspuckt, was sich auf bis zu 500 Seiten Müll pro Tag summieren kann. Es ist verrückt.«
Als ich später an diesem Tag das Thema gegenüber meiner Mutter zur Sprache brachte, eine praktische Ärztin, die viel von Schulmedizin und wenig von Naturheilkunde hält, überraschte sie mich: Statt die Augen zu verdrehen und mich zu fragen, ob ich mit meiner Hippie-Philosophie jetzt auch noch die moderne Medizin aufs Korn nehmen wolle, erklärte sie, dass ein ökologischer Umbruch in der Branche tatsächlich angebracht wäre.
»In meiner Praxis fällt viel Abfall an«, sagte sie. »Alles ist für den Einweggebrauch bestimmt. Früher hatten wir grüne Sachen – grüne Laken, grüne Kittel, grüne Hauben –, und das war alles wiederverwendbar, aber steril.
Geändert hat sich das zwischen 1985 und 1988, als ich meine Ausbildung machte, seither besteht alles aus Papier – wir haben papierne Patientenkittel, Papiertücher auf den Liegen, Papierlaken. Ich erinnere mich, wie ich damals fragte: ›Warum haben wir denn nicht mehr die grünen Sachen?‹, und die Antwort war: ›Ach, das ist billiger.‹ Also wird jetzt alles nach einmaligem Gebrauch weggeschmissen, und zudem war es noch in Zellophan eingepackt, und natürlich ist nichts davon recycelbar. Außerdem benutzen wir
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