Nackt schlafen ist bio
den ersten Monaten meines grünen Projekts habe ich auf diese Fragen mit einem nervösen Lachen und einem eingeübten Standardsatz (mit minimalen Abwandlungen) geantwortet, der in etwa so lautete: »Ja, ich weiß auch nicht, es ist schon verrückt, ich habe noch nicht alles vorausgeplant, aber mal sehen, wie weit ich komme, ich meine, ich kann mich ja nicht mal erinnern, was meine heutige Maßnahme war, ich schreibe mir das immer am Vorabend auf, und inzwischen verschwimmt das alles irgendwie ineinander, aber das ist schon okay, mir geht’s gut – ehrlich!«
Dahinter steckte natürlich schiere Panik, weil ich noch nicht mal angefangen hatte, mir den Öko-Schritt des nächsten Tages auszudenken, geschweige denn die Schritte für ein ganzes Jahr.
Doch jetzt, da ich das erste Viertel hinter mir habe, hat die Panik nachgelassen. Zwar bin ich nicht zuversichtlicher geworden, dieses Ding durchziehen zu können, habe mich jedoch mit der Tatsache angefreundet, dass, selbst wenn mein Projekt wortreich, aber schändlich scheitern sollte, ich immer noch einen Job, eine Wohnung, eine Familie und Freunde haben werde (ja, wahrscheinlich sogar mehr Freunde, weil ich dann nicht mehr jeden Abend daheim auf der Couch hocken und Sachen wie »Wurmkompostierung im Haus« googeln muss).
Mir scheint allerdings, dass in diesem Zwölf-Monats-Projekt auf das Stadium des Akzeptierens zwangsläufig Ermüdung folgt. Es ist eine Art Katzenjammer, der mich bereits plagt, noch bevor ich betrunken bin (was übrigens gestern Abend der Fall war, und ich kuriere mich heute auf ökologische Weise aus, indem ich Ingwerstückchen lutsche, statt Schmerztabletten einzuwerfen). In gewisser Hinsicht war das beinahe absehbar – mein grüner Wandel hat sich zu schnell, zu heftig vollzogen, bis hin zu dem Punkt, an dem ich alles ausspeien und zusammenbrechen möchte, um dann am nächsten Nachmittag aufzuwachen, eine Riesentüte Chips zu verdrücken, Kaffee in mich hineinzuschütten und mich bei eBay einzuloggen, wo ich mein letztes Gehalt für eine Dostojewski-Erstausgabe, die zu lesen ich nie die Zeit haben werde, auf den Kopf haue.
Es ist kein gutes Zeichen, dass ich mich bereits jetzt so fühle. Ich glaube, ich sehe sogar entsprechend aus und rieche auch so. Neulich war ich bei meinen Eltern zum Abendessen eingeladen, und als ich meine Mom zur Begrüßung umarmte, sagte sie mir, ich müffle. Ich erklärte, beim Deodorant experimentiere ich noch, auch sei ich den ganzen Tag in der Stadt herumgeradelt. Ohne darauf einzugehen, fuhr sie fort, meine Haare sähen beschissen aus, und witzelte, ich würde keinen Freund finden, bis dieser ÖkoTrip vorbei sei. Das ist übrigens typisch für britische Eltern: Sie sagen gemeine Sachen und lachen dabei, als hätten sie das nur im Spaß gesagt, obwohl es ihnen im Grunde todernst damit ist. Und meine Mutter hat in letzter Zeit ganz besonders meine biologische Uhr im Blick. Dass ich unter die Haube komme, ist ihr nicht so wichtig, aber sie will ein Enkelkind, und zwar jetzt, und schildert mir in aller Ausführlichkeit die Horrorgeschichten von ihren ehemaligen Patientinnen – natürlich unter Einhaltung der ärztlichen Schweigepflicht –, die sich noch für jung genug hielten, um Kinder zu bekommen, die nun aber darunter leiden, weil es eben nicht mehr geklappt hatte. Die Botschaft meiner Mutter lautete an diesem Abend daher klipp und klar: kein Deo = kein Baby. Da ich diese Sprüche zur Genüge kannte, konnte ich prompt kontern, ich würde lieber den Rest meines Lebens stinken und Single bleiben, als mir die Poren mit Aluminium zu verstopfen, Alzheimer und Brustkrebs zu kriegen und vorzeitig zu sterben (Kinder britischer Eltern neigen übrigens zu verbalen Rundumschlägen, wenn sie sich angegriffen fühlen). Sie verdrehte die Augen. Ich seufzte tief. Dann gingen wir zur Tagesordnung über.
Die beste Methode, mit Kritik umzugehen, Öko-Katzenjammer zu vermeiden, das große Ziel des Vorhabens nicht aus den Augen zu verlieren und dabei nicht völlig zu verwahrlosen, wäre es vielleicht, auf prominent zu machen und sich mit einem Gefolge zu umgeben. Meghan könnte ich als Cheerleader und Ernährungsberaterin einsetzen, Emma könnte an meiner Markenentwicklung arbeiten, Justin als mein persönlicher Coach, der mich Zigaretten rauchend beim morgendlichen Joggen begleitet, meine Mutter als Ärztin auf Abruf und mein Dad als Verwalter meiner Einkünfte.
Dann fehlten mir nur noch ein Dealer und ein Therapeut.
Eine
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