Nackt schlafen ist bio
geführt und die Erde und die Menschen um sie herum respektiert hatte – wenigstens insofern, als sie nicht haufenweise benutzte Papiertaschentuchknäuel hinterließ. Zwar weiß ich nicht, wie sie die rotzigsten Tage ihrer Erkältungen überstanden hat, aber da sie zwei Weltkriege überlebt hat, war das wohl eine ihrer geringsten Sorgen.
Doch jedes Mal, wenn ich in ihre Fußstapfen treten und eines dieser hübschen Taschentücher benutzen möchte, kann ich mich nicht dazu überwinden – die Erinnerung ist zu stark, und es fühlt sich irgendwie nicht richtig an, sich in ihr Erbe hineinzuschnäuzen. Also bleiben mir am Ende doch nur meine drei Exemplare aus biologisch angebauter Baumwolle. Der Geizkragen in mir weigert sich, noch ein paar zu kaufen, unbeeindruckt von der Tatsache, dass ich momentan mindestens alle paar Minuten große Klumpen Hirnmasse über die Nase absondere. In Notlagen, wenn ich ohne Taschentuch, ohne lange Ärmel und sogar ohne einen Fetzen Zeitung unterwegs bin, komme ich in Versuchung, es den Eishockeyspielern und den alten Männern in meinem Viertel gleichzutun: sich zur Seite beugen, ein Nasenloch zuhalten und dann volle Kanne …
Bis jetzt konnte ich mich immer noch zurückhalten, aber die Lage spitzt sich zu.
Als ich die letzte Falte aus einer hartnäckig verschrumpelten Leinenhose gebügelt hatte, spürte ich wieder eine massive Ladung aus den Nebenhöhlen kommen. Ich schaute zu dem restlichen Haufen Bügelwäsche hinüber und erspähte mein Bettlaken – nur dass es für mich in diesem Moment nicht wie ein Bettlaken aussah, sondern wie ein riesiges Taschentuch, und ich nichts anderes mehr wollte, als das ganze Ding zusammenraffen, mein Gesicht darin vergraben und losschnäuzen.
Und genau das tat ich. Es war ein fantastisches Gefühl.
Fünf Sekunden später fühlte ich mich nicht mehr ganz so fantastisch, weil mir dämmerte, dass ich die Stelle mit dem Rotz auswaschen und das Laken noch mal trocknen lassen musste. Aber da kam mir eine Idee: Das war eines meiner ältesten Laken, es war von meinen Eltern an meine Schwester und nach einem längeren Gastspiel (in unserem Gästezimmer) an mich weitergereicht worden, es begann außerdem fadenscheinig zu werden und war an mehreren Stellen vergilbt (nicht nur da, wo ich gerade hineingeschnäuzt hatte). Vielleicht war meine flüchtige Taschentuchhalluzination ja in Wirklichkeit eine visionäre Eingebung gewesen – wenn ich mich mit einer Schere über dieses Laken hermachte, ließen sich bestimmt hundert Stücke solides Nasenputzmaterial daraus gewinnen. Überdies wäre es eine sinnvolle Weiterverwendung eines schon vorhandenen Stoffes. Genial! Ich schaltete das Bügeleisen aus, holte blitzschnell meine Schere von unten und begann zu schnipseln. Sophie sah kurz von ihrem Schlafplatz auf der nicht bezogenen Matratze auf, als wollte sie sagen: »Was hat die denn jetzt schon wieder vor?«, danach: »Was kümmert’s mich?«, und dann rollte sie sich wieder zusammen und döste weiter.
Binnen kurzem hatte ich einen ansehnlichen Stapel behelfsmäßiger neuer Taschentücher. Ich probierte eines aus, und es klappte (keine Ahnung, wie es nicht hätte klappen sollen, aber ich freute mich trotzdem). Dann genehmigte ich mir noch eins und noch eins und noch eins. Ich prustete mich durch ein gutes Dutzend davon, bis meine Schleimhäute endlich klein beigaben und austrockneten. Es war ekstatisch, die reinste Erleichterung, als wäre aus meinem Kopf gerade ein Pfund Butter rausgeschmolzen. Im Hintergrund hörte ich Jimmy Cliff I can see clearly now singen.
Mag sein, dass meine Blusen von nun an schäbig und zerknittert aussehen, aber immerhin sind die Ärmel nicht mehr rotzverschmiert. Großmutter wäre stolz auf mich.
1. JULI , 123. TAG
Aufs Glätteisen verzichten
Zwar bin ich hinsichtlich der ästhetischen und geruchlichen Auswirkungen meines Wechsels zu natürlichem Make-up und aluminiumfreiem Deodorant entschieden anderer Meinung als meine Mutter, doch sehr wahrscheinlich gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen meinem krausen Haar und den langen Phasen meines Singledaseins. Deshalb mache ich heute einen dem Anschein nach nur kleinen Schritt auf meinem grünen Weg, dieser wird aber, wie ich fürchte, enorm frustrierende Konsequenzen haben – ich ziehe nicht einfach nur den Stecker meines Glätteisens, ich verabschiede mich damit auch von meinem Sexappeal.
2. JULI , 124. TAG
Eine Wurmkiste zum Kompostieren bauen
Du kannst es. Wir helfen dir
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