Nackt schlafen ist bio
Morgen ins Hotel gebracht würden, und mir eine Plastiktüte mit sogenannten »Notfall-Toilettenartikeln« gaben – Mini-Zahnbürste, Zahnpasta, Rasiercreme, Rasierer, Kamm, Deo und Seife –, nahm ich deshalb all dies gerne entgegen und lächelte obendrein. Erst später dachte ich mir: Himmel, was für eine Verschwendung von Rohstoffen, noch dazu in Oregon, in einem der umweltbewusstesten Bundesstaaten überhaupt. Gibt es hier nicht Gesetze, die das Laufenlassen von Motoren im Stand, Pestizide und Notfall-Necessaires aus Plastik verbieten?
Am nächsten Morgen wachte ich früh auf. Richtig früh. Einen Moment lang genoss ich das ungewohnte Gefühl, einfach aus dem Bett steigen und zur Tür hinausspazieren zu können (was daran lag, dass ich in meinen Kleidern geschlafen hatte, weil ich sonst nichts anzuziehen hatte – nackt schlafen kam im Holiday Inn nicht infrage – und die meisten der vor Konservierungsstoffen strotzenden Toilettenartikel in dem Notfallbeutel nicht benutzen konnte). Doch wie bei allem Neuen klang die Begeisterung rasch ab. Das Orientierungstreffen für die Fahrradtour begann um 7 Uhr, und es war bereits 6.30 Uhr. Es gab weder eine Bushaltestelle noch einen Bahnhof in der Nähe des Hotels, das ziemlich außerhalb der Stadt lag, also nahm ich mir ein Taxi zum vereinbarten Treffpunkt, wo ich mir beim Ausfüllen der Formulare oder bei der Vorstellungsrunde doch bestimmt schnell einen Kaffee und irgendwelches Gebäck einverleiben konnte.
Abgesehen von ein paar Leuchtstoffröhren und einigen motivierenden Postern an der Wand war der Konferenzraum düster und kahl. Ein paar Leute saßen schon schweigend da. Ich setzte mich auf einen der Plastikstühle und schaute mich um. Kein Kaffee.
»Warum gibt’s keinen Kaffee?«, wandte ich mich an eine der Anwesenden, ein Mädchen mit glänzendem Haar und einer kecken, sonnengebräunten Nase, die überhaupt recht gesund und proper aussah – und, wie sich später herausstellte, passend zu ihrer Pfirsichhaut aus dem Pfirsich-Staat Georgia stammte. Sie meinte, das wisse sie auch nicht, aber möglicherweise habe es damit zu tun, dass es auf der Tour veganes Essen gebe und Veganer die natürliche Balance ihres Körpers vielleicht nicht durch Aufputschmittel wie Koffein aus dem Gleichgewicht bringen wollten.
Scheiße. Na schön. Aber warum kein Gebäck?, fragte ich mich. Klar, da ist Butter drin – hergestellt aus der Milch von Kühen, die vielleicht mit Antibiotika behandelt, ausgebeutet oder zu früh von ihren Kälbern getrennt worden sind und außerdem viel mehr Methan erzeugen, als unser Planet verträgt. Oder so ähnlich.
Was gab es denn nun bei diesem sechsstündigen Orientierungstreffen zu essen? Ich spähte zu dem Tisch neben der Tür: trockene Bagels, Marmelade und Wasser. Was mich an das Bagel-und-Saft-Zelt beim Stadtlauf erinnerte, nur dass ich jetzt nicht zehn Kilometer hinter mir, sondern halb Oregon vor mir hatte.
Das konnte ja heiter werden.
Schließlich begann die Veranstaltung. Geleitet wurde sie von Mark, einem schlanken, etwas phlegmatisch wirkenden Langsamsprecher mit großen Augen, der ebenfalls eine perfekte amerikanische Bräune aufwies, dafür war sein Haarschnitt alles andere als perfekt. Er sah nach Anfang dreißig aus, trug ein Hawaiihemd, orangerote Shorts, dazu die obligatorischen Trekkingsandalen und zog oft die Augenbrauen hoch, als wäre er verwirrt oder neugierig oder beides. Mark outete sich als Ovo-Pesco-Veganer, was bedeutete, dass er zwar weder Fleisch noch Milchprodukte, aber Eier und Fisch aß, und das hieß für mich, dass es mit seinem Veganismus nicht weit her sein konnte. Beruhigend! An verschiedenen Stellen seines Vortrags kam zudem heraus, er habe in Neurowissenschaften promoviert (Beliebtheitsgrad steigend), ein Jahr allein in einem Mangowald gelebt, um Mondmuster zu studieren (Beliebtheitsgrad fallend), und sei ausgebildeter Masseur (Beliebtheitsgrad steigend … steil steigend). Ja, dachte ich mir, wenn es ein Fleisch gewordenes Maskottchen für den Bundesstaat Oregon gäbe, dann wäre das Mark.
Im zweiten Teil der Veranstaltung folgte ein Diavortrag über frühere Radtouren sowie einige lokale, nachhaltige Projekte, die wir, so Mark, gern am Anfang oder am Ende unseres Aufenthalts hier in Portland besuchen könnten. Des Weiteren erzählte er von den Bio-Restaurants in der Stadt, die Pflanzenöl nach Gebrauch in Bio-Diesel umwandeln, von der fußgänger- und radfahrerfreundlichen Infrastruktur, den
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