Nackt unter Wölfen
erzählt«, beeilte sich Gay zu versichern. »Wo – in Gottes Namen – habt ihr aber das arme Wurm hingeschleppt?« Rose schwieg. Gay stand am Fenster und trommelte gegen die Scheibe. Sekundenschnell wägte er ab und entschied sich. Er ging zu Rose. Freundlich, doch mit unverkennbar hartem Griff packte er ihn vor der Brust und zog ihn hoch. An Roses Kraftlosigkeit merkte er, dass es so richtig war. Er nahm die Zigarre aus dem Mund, tippte die Asche ab und hielt Rose die Glut wie zufällig unter die Nase. Die ätzende Hitze biss Rose in die Schleimhäute.
Väterlich sagte Gay: »Nun, seien Sie vernünftig, Rose.«
Rose sah dem Bullen ins Auge, darin glitzerte unergründliche Gefahr. – Rose schluckte, er fühlte, dass sich der ziehende Griff an seiner Brust lockerte. Gay klopfte Rose auf die Schulter.
»Ich habe keine Lust, mit Ihnen dasselbe zu veranstalten wie mit Pippig, ich mach’s nicht gern. Aber wenn Sie mich zwingen … Rose, Mann Gottes, ich tue doch auch nur meine Pflicht!«
Wenn der merkt, dass ich etwas weiß …
Rose ließ den Blick nicht von dem Bullen.
»Also, wohin habt ihr das arme Wurm gebracht?« Roses Blick flackerte. Er riss allen Mut zusammen.
»Ich weiß es nicht«, stotterte er, der Faust des Bullen gewärtig. Doch Gay seufzte nur und hob bedauernd die Arme.
»Na schön, es tut mir leid um Sie. Gehen Sie jetzt in IhreZelle und besprechen Sie sich mit Pippig. Ich muss Sie mir in dieser Nacht noch einmal rüberholen …«
Es war schon dunkel, als Rose vom Schließer in die Zelle zurückgebracht wurde. Pippig lag im Fieber und war nicht bei Verstand. Der Schließer legte ihm den feuchten Lappen auf die Stirn und brummte im Hinausgehen zu Rose hin: »Nun machen Sie keine Dummheiten, es ist genug mit dem einen hier.«
Rose kauerte sich auf den Schemel. Das ganze Elend der Welt kroch in dieser Zelle zusammen. Gern hätte Rose jetzt ein Wort gesprochen.
»Rudi …«
Pippig rührte sich nicht, sein Atem ging heiß und ziehend.
»Rudi …«
Rose schüttelte ihn an der Schulter.
Der Fiebernde stöhnte. Rose ließ von ihm ab. Klein und krumm hockte er auf dem Schemel. Nun war er ganz mit sich allein! –
Der ätzende Rauch der Zigarre klebte ihm noch in den Nasenlöchern, und der gefährliche Griff des Bullen zog noch an der Brust. Die Kälte in der Zelle kroch fröstelnd über die Haut.
Die vergitterte Glühbirne an der Zellendecke brannte rötlich und arm.
Bald würde die Nacht kommen …
Der Kommandant hatte den gesamten Stab zu sich befohlen, und deshalb ging der Abendappell sehr rasch vorüber. Kluttig war nicht da, an seiner Stelle nahm der ewig besoffene Weisangk den Appell ab. Reineboth baute sich vor dem ersten Lagerführer auf und machte seine Meldung.
Dann: »Abrücken!« Das ging heute schnell. Es lag etwas in der Luft. Die Zehntausende wussten es! Wie ein Gas hatte sich das Gerücht von der Evakuierung mit der Atmosphäredes Lagers vermischt. {Wie sonst immer war das äußere Bild des Abmarsches.} Block um Block schwenkte um und marschierte im Gleichschritt den abfallenden Platz hinunter. Wie sonst kam es in den schmalen Durchgängen zwischen den Baracken zu Stauungen und Gedränge. {Wie sonst löste sich die Marschordnung} hier auf, weil jeder bestrebt war, so schnell wie möglich in die Baracke zu kommen.
Kleinigkeiten nur waren es, die anzeigten, dass es anders war als sonst. Rapportführer, Lagerführer, Blockführer warteten nicht wie üblich, bis sich der Appellplatz geleert hatte, sondern verschwanden eilig durchs Tor. Die Posten, die sonst gleichgültig auf der Galerie des Hauptturms hin und her stapften, standen neben den Maschinengewehren, den Kopf in den hochgeschlagenen Mantelkragen gezogen, um sich gegen den scharfen Märzwind zu schützen, der um die Ecken des Turmes pfiff, und blickten den abziehenden Blocks nach.
Unmittelbar nach dem Appell rückten auch die Kommandierten, die für gewöhnlich bis zum späten Abend zu arbeiten hatten, aus den verschiedenen SS-Gebäuden ins Lager ein. Es lag etwas in der Luft!
In den Blocks rumorte es wie immer. Um die Suppenkübel drängten sich die Häftlinge, gleichmütig wie immer teilten die Stubendienste die karge Brühe aus, die Schüsseln klapperten. Wie immer zwängten sich die Männer auf die Bänke an den langen Tischen, Mann an Mann, so dass kaum noch Bewegungsfreiheit vorhanden war, um mit dem Löffel zu hantieren. Wie immer knabberten sie nach der Suppe an der noch kleiner gewordenen Brotration für
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