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Nackt unter Wölfen

Nackt unter Wölfen

Titel: Nackt unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Apitz
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Block 61 …«
    »Stimmt’s, dass er nach dem Kind gesucht hat?«
    Bochow, der, um mit Krämer sprechen zu können, für Runki die Bestandsmeldung gebracht hatte, beteiligte sich an der allseitigen Neugier und benutzte sie, um durch Krämer Informationen einholen zu lassen.
    »Geh mal ins Kleine Lager und erkundige dich, was dort los gewesen ist.«
    Krämer hörte den versteckten Auftrag heraus, knurrte, um ihn zu überdecken, und tat, als sei er desinteressiert. Doch bohrten Unruhe und Ungewissheit in ihm ebenso wie in Bochow, denn an dem Netz, das sich über Höfel-Kropinski,über Pippig und die anderen Verhafteten, über die vier armen Polen im Block 61 und nicht zuletzt über das ILK und den gesamten Apparat spannte, war in dieser Nacht wieder einmal gezerrt worden, und sie alle, die unter dem schützenden Geflecht verborgen waren, mussten Gewissheit erlangen, ob es etwa einen Riss erhalten hatte.
    Wie immer vollzog sich auch an diesem Morgen der Aufmarsch zum Appell. Wie immer stand das Riesenquadrat exakt auf Vordermann und Seitenrichtung ausgerichtet, und wie immer zerfiel es nach Reineboths Befehl: »Arbeitskommandos antreten!«, wimmelnd und wirrend in die vielen großen und kleinen Gruppen der Kommandos, die dann mit »Mützen ab« durchs Tor marschierten, von karabinerbewaffneten Posten begleitet, oder sich den Appellplatz hinunter in die Lagerwerkstätten und Verwaltungsstellen verteilten.
    Doch seit gestern ging es wie ein neuer Luftstrom über den Gipfel des Berges hinweg, und er wurde von tausend und abertausend Lungen eingesogen. Irgendwo in der Ferne geschah etwas. Von irgendwo rumpelten Panzer heran und erschütterten den Boden, dessen Vibrieren die Tausende auf dem Berggipfel zu spüren vermeinten wie die Ausläufer eines Erdbebens. Was sie bisher nur von den zerkratzten Landkarten abgelesen, als Frontberichte aus den Blocklautsprechern abgehört hatten {wie eine fern liegende Wirklichkeit, von der sie ausgeschlossen waren}, verwandelte sich mit einem Schlage, seit {gestern nämlich, da} das Gerücht von der Evakuierung ins Lager gesprungen war, in eine Wirklichkeit, an der sie unmittelbar beteiligt waren.
    Kluttig und Reineboth, der Arbeitsdienstführer und ein Rudel der Blockführer standen außerhalb des schmiedeeisernen Lagertores und ließen stumm, die Beine gegrätscht, die Fäuste in die Hüften gestemmt oder auf den Rücken gelegt, den Strom der ausrückenden Arbeitskommandos an sich vorbeidefilieren. In ihren prüfenden Blicken, die überdie kahlen Köpfe hinwegstrichen, glommen verborgene Gedanken. –
    Kommando um Kommando zog vorbei, die Mütze in der Hand, die Arme straff am Körper, den Blick geradeaus in Marschrichtung.
    Im Schutz der Masse und ihrer gestreiften Anonymität marschierten viele Angehörige der geheimen Widerstandsgruppen. Ihre Finger, die den Spatenstiel fassten, hatten an so manchem heimlichen Abend in der Fundamentgrube den Kolben eines Karabiners umspannt, wie es sie ihr Ausbilder gelehrt hatte, an dessen Bunkerzelle sie jetzt vorbeimarschierten, und sie trugen ihre strenge Stirn wie Schilde vor sich her, hinter denen sich
ihre
Gedanken verbargen. In tiefster Heimlichkeit noch und doch waren sie schon Tat einer Zukunft, die so nah war, dass man mit ausgestrecktem Arm in sie hätte hinübergreifen können. – Aber noch lagen die Arme straff am Körper. Die Männer kannten die Gedanken hinter jenen Augen, von denen sie im Vorbeimarsch gemustert wurden. – Dieses Denken und das ihre waren getrennt wie Körper im Weltenraum, doch wenn sie aufeinanderstoßen würden …
    »O Buchenwald, wir jammern nicht und klagen,
    und was auch unsre Zukunft sei,
    wir wollen trotzdem Ja zum Leben sagen,
    denn einmal kommt der Tag, dann sind wir frei …«
    Wie immer, so auch heute schwang das Lied des Lagers über den kahlen Köpfen und wurde wie eine heimliche Fahne vorangetragen, wenn die Kommandos zur Arbeit ausrückten. –
    Noch ehe das letzte Arbeitskommando vorbeimarschiert war, zog sich Kluttig mit Reineboth in dessen Rapportführerstube zurück. Sie ließen niemanden herein. Kluttig fiel ächzend auf einen Stuhl nieder und brütete über seinen nächtlichen Misserfolg.
    »Das Gesindel muss es spitzgekriegt haben, als ich ins Lager ging«, sagte er mürrisch. »Kann ich mich unsichtbar machen?« Reineboth legte das Rapportbuch auf den Tisch.
    »Vielleicht haben sie auch deinen Gay angeschissen, und mit Block 61 stimmt es gar nicht.«
    Kluttig riss den Oberkörper nach vorn

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