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Nackt unter Wölfen

Nackt unter Wölfen

Titel: Nackt unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Apitz
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allen Seiten um und berechnete den nächsten Husch zu einem Baum in der Nähe. Als der Augenblick günstig erschien, genügten ein paar Sprünge, um dorthin zu gelangen, ohne Geräusch. Die Gestalt trug keine Schuhe, sondern nur Strümpfe an den Füßen. Ein Häftling war es. Er bewegte sich mit der Gewandtheit eines Artisten. Jetzt drückte er sich eng an den Baum und wartete erneut seine Zeit ab. Das Gefährlichste, die Überquerung des breiten Revierwegs, stand ihm bevor. Lange zögernd beobachtete er die Türme und die Umgebung.
    Dann duckte er sich, und wieselflink lief er über den Weg, warf sich drüben in dem freien Gelände zwischen Bäumen und Stümpfen auf die Erde. Abwartend, regungslos, mit dem Boden verschmelzend, lag er eine Weile, dann robbte er von Baum zu Baum an das Kleine Lager heran. Vorsichtig hob er die unterste Zeile des Stacheldrahts hoch und kroch durch den Zaun. Jetzt war er genügend weit von den Türmen entfernt, um sich mit größerer Sicherheit zwischen den Latrinen hinter den Baracken, zwischen Gerümpel und Abfalltonnen, die überall umherstanden, an Block 61 heranzupirschen. Eng an die Wand der Baracke gepresst, drückte er Millimeter um Millimeter die Türklinke nieder. Nur so weit, um eben noch hindurchschlüpfen zu können, öffnete er die Tür.
    Draußen war es windstill, er ersparte es sich, die Tür zu schließen, stand eine Weile, bis sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann orientierte er sich. Dort war der Verschlag. Zu ihm schlich sich der Häftling. Die Tür warnur angelehnt. Behend schlüpfte er hinein. Auf der Bettstatt schlief Zidkowski. Seine drei Helfer lagen auf Strohsäcken zu ebener Erde. Zidkowski schnarchte, an seinen Rücken geschmiegt schlief das Kind. Vorsichtig stieg der Häftling an den schlafenden Pflegern vorbei, jeden Schritt abtastend, bis zu Zidkowski. Behutsam schob er die Hände unter das Kind und nahm es auf. So vorsichtig tat er dies, dass das Kind nicht erwachte. Katzenleis verließ er mit seiner Beute den Verschlag und die Baracke. Die Tür ließ er angelehnt.
    Draußen verweilte er überlegend. Er musste das Kind wecken, damit es nicht erschrecken und gar schreien würde. Zart rüttelte er das Schlafende. Das Kind erwachte mit einem Schrecklaut. Der Häftling drückte ihm rasch die Hand vor den Mund und sprach beruhigende polnische Worte, wiegte und drückte das Kleine zärtlich an sich. Aus der ungewöhnlichen Situation heraus, in der es sich befand, spürte das Kind gelehrig die Gefahr und verhielt sich still. Die polnischen, stark russisch gefärbten Laute wirkten beruhigend. Es legte, wie es der Häftling ihm zeigte, die Ärmchen um dessen Hals und hielt sich fest. Der Häftling drückte das Kind an sich, duckte sich zusammen und huschte davon. –
     
    Noch verkrümmter, als er gegangen war, kehrte Rose nach einer knappen Stunde in die Zelle zurück. Der SA-Mann lächelte spöttisch über die armselige Figur.
    Ohne sich um Pippig zu kümmern, schlich sich Rose auf den Strohsack und verkroch sich unter der Decke, ein erbärmliches Minderwertigkeitsgefühl im Leibe. –
     
    Kluttig schreckte aus dem Schlaf, als das Telefon neben seinem Bett schrillte. Gay war am Apparat. Noch verschlafen, hörte Kluttig dessen knarrende Stimme: »Hallo, ihr Heinis da oben. Holt euch euer Judenbalg aus Block 61 im Kleinen Lager.«
    Schlagartig war Kluttig wach.
    »Mensch, Gay, wie hast du das rausgekriegt?« –
    »Mit ein bisschen Intelligenz«, knarrte es am anderen Ende. Es knackte im Apparat, Gay hatte aufgelegt.
    Kluttig saß auf dem Bettrand, starrte vor sich hin, fuhr sich mit der Hand unter die Jacke des Schlafanzugs und kratzte sich nervös unter der Achsel. Sofort musste gehandelt werden. In aller Eile zerrte sich Kluttig die Uniform über und jagte zum Lager. Durch die Torwache ließ er die Posten auf den Türmen davon verständigen, dass er das Lager betreten würde, nahm sich einen Blockführer mit, den er eiligst instruierte, und stürzte nach Block 61. Er stürmte in den Verschlag, ließ die Stablampe aufgrellen und kreischte: »Aufstehen!«
    Verstört fuhren die Polen aus dem Schlaf und sprangen vom Lager hoch. Instinktiv warf Zidkowski die Decke über die Bettstatt, neben die er sich hinstellte.
    Kluttig hatte die Bewegung blitzschnell gewahrt und riss mit der Stablampe die Decke herunter. In kaltem Schreck starrten Zidkowski und seine Helfer auf das leere Bett. Kluttig ahnte nichts von den Reaktionen, die in den Polen vor sich

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