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Nackt unter Wölfen

Nackt unter Wölfen

Titel: Nackt unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Apitz
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Lagerschutzler die Fliehenden zurück, doch nur, damit nicht alle auf einmal davonliefen. Dann aber hoben sie selbst die Arme und erleichterten einem neuen Schub den Durchschlupf. Sonderbare Reflexionen spielten sich dabei in den Gehirnen der Lagerschutzler ab. Was sollen wir tun? Sie laufen uns ja alle wieder davon! Wir geben uns die größte Mühe, sie zu halten, aber es nützt nichts … Noch viel sonderbarer aber war es, dass nichts am Tor sich rührte. Weder schlugen die Posten auf dem Turm Lärm, obwohl sie trotz der Dunkelheit die Flucht bemerken mussten, noch kam Reineboth oder irgendein anderer herbeigestürzt. Nichts geschah! Die Spannung, unter der sich die Flucht vollzog, ließ keinen Raum für erklärende Gedanken, warum das Unerhörte möglich war. Vielleicht konnte es geschehen, weil sich Reineboth zur gleichen Zeit beim Kommandanten befand. Oder weil die Posten auf den Türmen dachten: Lauft doch da unten, was geht es uns an. Es ist sowieso bald Schluss. Schub um Schub ließ der Lagerschutz verschwinden, und dann stand er ganz allein am Tor. Der Kapo hob die Schultern. »Also gehen wir auch. Los, antreten.« Leise, als wollten sie nicht gehört werden, formierten sich die Lagerschutzler zum Zug. Erst ein wenig zaghaft, doch dann immer sicherer auftretend, marschiertensie den Appellplatz hinunter. Hinter der ersten Blockreihe kam ihnen Krämer entgegen, der hatte alles beobachtet. Wieder zog der Kapo resigniert die Schultern hoch.
    »Haut ab in euren Block«, sagte Krämer, weil in dieser sonderbaren Situation nichts anderes zu sagen war.
    »Haut ab«, sagte Krämer auch zu den Häftlingen der Schreibstube, als er nach ihr zurückkehrte, und ging dann selbst nach seinem Block Nummer 3. »Die können mich mal …«, sagte er grob auf Wunderlichs Frage, ob er nicht zur Nacht abpfeifen wolle. »Ich pfeife überhaupt nicht mehr ab.« Unfasslich, dass nach der Flucht der jüdischen Häftlinge nichts geschah. Hatte sich Reineboth, nachdem er vom Kommandanten zurückkam, etwa das Gleiche gesagt wie die Posten auf dem Turm? Hatte er dem Kommandanten das Verschwinden der Juden überhaupt gemeldet? War Kluttig nicht da, der bestimmt getobt und einen Aufruhr am Tor veranstaltet hätte?
    Der Abend ging in die Nacht über. In den Blocks wussten sie alle bereits, dass der Lagerschutz die Juden hatte laufenlassen, und alle warteten auf neue Ereignisse. Sie belauerten misstrauisch die Stille, jeden Augenblick gegenwärtig, dass der Lautsprecher brüllen würde. Doch das unheilvolle Ding hing stumm über der Tür des Tagesraumes. Das Warten zerbröckelte. Manch einer schlurfte in den Schlafsaal und kroch auf das Lager.
     
    Der deutsche Blockschreiber und die beiden polnischen Helfer im Kleinen Lager waren noch lange wach. Die zweite Nacht war angebrochen, in der Pröll in seinem Versteck hockte.
    Die ewig gebückte Körperhaltung war Pröll schon längst zur furchtbaren Marter geworden. Die gekrümmten Nackenmuskeln glühten. Immer wieder knickten ihm die Beine ein. Er konnte sich nicht drehen, nicht setzen, nicht kauern. Nurmit dem Kopf lehnte er sich gegen die Wand des Schachtes. War es Tag oder Nacht? War ein Tag vergangen oder zwei oder vier? Pröll stöhnte, er war müde und geschwächt. Er hatte die Augen geschlossen und konnte doch nicht schlafen. Solange er sich unbeweglich hielt, stumpfte der Schmerz in den Nackenmuskeln ab, aber bei der geringsten Bewegung durchschlug es ihn wie eine Feuerlohe. Pröll biss die Zähne aufeinander.
    Auf einmal fuhr Pröll zusammen. Über seinem Kopf bewegte sich der Deckel. Durch das aufgejagte Gehirn schoss es Pröll: Sie haben mich! – Da hörte er eine vertraute Flüsterstimme: »Fritz! Mensch! Lebst du noch?« Arme griffen nach ihm und zogen ihn heraus.
    Pröll zitterte und bebte. Trotz des Mantels durchfrostete ihn die feuchte Nachtkälte. »Schnell, in die Baracke!« Die Polen fassten ihn unter, und Pröll schleifte zwischen ihnen mit steifen Beinen. In der kleinen Kabine des Blockschreibers erholte er sich.
    Der Blockschreiber hatte ihm einen Becher warmer Suppe gebracht. Mit zitternden Händen führte Pröll den Becher zum Mund, und das warme Getränk belebte wohltuend das erstarrte Blut. Jetzt erinnerte er sich des Brotes. Er zog einen Kanten hervor, der schon hart geworden war, und riss mit den Zähnen ein Stück ab. Einer von den Polen stürzte herein. »Sie kommen!« Pröll schnellte hoch und sprang in die Nacht hinaus. Seine Helfer ihm nach. Sie rannten zum

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