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Nackt unter Wölfen

Nackt unter Wölfen

Titel: Nackt unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Apitz
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zurückgehaltener Ironie: »Herr Kommandant, das Lager tritt nicht an.« Und Schwahl, verständnislos blinzelnd: »Wieso? Tritt nicht an?« Dafür hatte Reineboth nur ein leichtes Heben der Schultern als Antwort. Kluttig dagegen schrie los: »Die Kerle haben längst spitzgekriegt, dass ihnen durch Sie kein Haar gekrümmt wird!« Um die offenkundige Obstruktion nicht zugeben zu müssen, rettete sich Schwahl in sein großsprecherisches »Bahbahbah« hinein, und da er im gleichen Augenblick einen telefonischen Anruf erhielt, der ihm mitteilte, dass die bereitgestellten Güterzüge zur Ausfahrt freigegeben worden waren, plusterte er sich vor Kluttig auf: »Na also, was wollen Sie! Die Züge können ausfahren. {In spätestens zwei Stunden geht der Judentransport ab.}« Unvermittelt brüllte Schwahl auf Reineboth ein: »Lassen Sie sofort wieder antreten. Wenn sich binnen einer halben Stunde nichts rührt, dann schicke ich eine Kompanie SS ins Lager und lasse es mit Hundepeitschen zum Tor treiben! – Halt!«, hielt er Reineboth auf, »geben Sie meinen Befehl mit aller Härte, aber ohne Drohungen durch, vermeiden Sie aber auch den Eindruck, als ob wir denen da nicht gewachsen wären.«
    Ein unmerkliches Lächeln huschte über Reineboths Mundwinkel. – Seine zweite Durchsage erhöhte den Tumult unter den Häftlingen. Im Kleinen Lager wimmelte es wild durcheinander. Im Innersten aufgewühlt, schrien die Blockältesten und Stubendienste: »Antreten, antreten!« Wie Schlachtvieh drängelten sich die Häftlinge vor den Blocks zusammen, einer schob den anderen vor. Geschrei und Gezeter in allen Sprachen war zu hören, doch machte keinervon ihnen den Anfang. Und keiner von den Blockältesten, sosehr sie auch in dem quirlenden Menschenhaufen herumfuhren, zerrten, stießen, schrien, keiner half nach, den Marsch zustande zu bringen. Es war ein Treten am Ort, ein verzweifeltes Treten am Ort. Im allgemeinen Lager ging es nicht anders zu. Wohl sammelten sich Häftlinge vor den Blocks, aber Ordnung wollte lange nicht eintreten. Wieder wurde damit eine Stunde vertan. Krämer war zum Kleinen Lager gelaufen. Hier erreichte ihn Reineboths nochmalige Durchsage: »Lagerältester, aufmarschieren lassen! Aufmarschieren lassen!« So drohend stieß der Ruf in das Gewimmel hinein, dass sich Krämer nur an die Spitze zu stellen brauchte, um endlich die Masse in Bewegung zu bringen. Block um Block dirigierten die Blockältesten jetzt zum Zug, der langsam den Berg hinauf zum Appellplatz kroch. Die Blocks des allgemeinen Lagers schlossen sich an. Zurück blieben nur die Pfleger des Reviers und der Seuchenbaracke 61 mit ihren Kranken sowie die vom Lager ohnedies isolierten sowjetischen Kriegsgefangenen.
    Der Morgen war schon lange in den Vormittag übergegangen, als endlich das Lager angetreten war. Von den Blocks der jüdischen Häftlinge war im Riesenquadrat nichts zu sehen, sie hatten sich in der Masse verloren und waren in ihr verschwunden. Und in diese Masse hinein stürzten, kaum dass der Aufmarsch beendet war, die Block- und Kommandoführer{. Ein Teil von ihnen riegelte zwischen den Blocks ab, die Übrigen rasten unter die Menschen} und prügelten und zerrten aus den Reihen alles heraus, was dem Aussehen nach ein Jude sein konnte. Die Blocks wichen nicht, aber sie wogten wie Ährenfelder. Zwischen den Reihen huschten die jüdischen Häftlinge, verbargen sich im Rücken des Vordermannes und wurden maßlos zusammengedroschen, wenn ein SS-Mann sie erwischte. Reiche Ernte hielten die Blockführer in den Karrees des Kleinen Lagers.In kurzer Zeit waren Tausende jüdischer Häftlinge aus den Blocks herausgeknüppelt worden und zum Tor gejagt. Hier drängten sie sich, vom fiebernden Summen der Erregung zusammengehalten. Draußen vor dem Zaun kläfften Hunde. Von irgendwem schienen die Blockführer einen Befehl erhalten zu haben, sie ließen plötzlich von den Blocks ab und rannten zum Tor. Das Wogen in den Reihen ließ nach, und die Blocks standen erschöpft, als hätten sie Blut von sich gegeben. Während am Tor die Blockführer weiter auf die jüdischen Häftlinge einschlugen, um die Masse zu einem Marschzug zu formieren, und eine karabinerbewaffnete Hundertschaft der SS mit ihren Hunden anrückte, schrie Reineboths Stimme durch den Hauptlautsprecher vom Turm über den Appellplatz: »Alles andere in die Blocks!« Alles vollzog sich in fiebriger Hast. Einem strudelnden Wasser gleich quoll die Häftlingsmasse ins Lager zurück, ohne Ordnung und Regel.

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