Nackt unter Wölfen
unterwegs krepiert sind? Über eine Woche sind wir auf den Beinen. Wir kommen aus Ohrdruf, aus Mühlhausen, aus Berlstedt und Abderode.«
Einer von den Posten telefonierte nach Reineboth. Die vier vom Sanitrupp meldeten sich ins Lager zurück und liefen im Eilschritt die gerade Zugangsstraße entlang, trafensich mit den Übrigen, und der Sanitrupp marschierte auf das Tor zu. An ihm vorbei raste bereits Reineboth auf dem Motorrad zum Schlagbaum.
Im Lager war es nach der Entwarnung lebendig geworden. Überall trafen vor den Blocks die Häftlinge aufeinander. Mit dem Stock hatte das Schicksal in den Ameisenhaufen hineingestochert und ihn durcheinandergebracht. Gespräche flogen von Gruppe zu Gruppe. Die Vermutungen und Befürchtungen {wirrten} hin und her.
»Wohin werden sie uns schaffen?« – »Wir gehen nicht raus aus dem Lager.« – »Wenn wir uns weigern, schießen sie das ganze Lager zusammen.« – »Schwahl soll schon Bombenflieger vom Flugplatz Nohra angefordert haben.« – »Mensch, quatsche nicht so dämlich. Die brauchen ihre paar Flugzeuge für die Front.« – »Und wenn sie Gasbomben werfen?« – »Blödsinn! Damit gefährden sie sich doch selber.«
Inzwischen liefen die Verbindungsleute, von den einzelnen Mitgliedern des ILK losgeschickt, von Block zu Block und instruierten die Vormänner der Widerstandsgruppen. Diese brachten in das Gewirr der Gespräche eine gewisse Richtung hinein.
»Wir müssen die Evakuierungen hinauszögern. Jeden Tag können die Amerikaner hier sein. Sie sollen schon vor Eisenach und Meiningen stehen.« –
{Zuerst mussten die neuen Zugänge ins Lager, ehe die Juden abtransportiert werden konnten.
»Ihr habt auch nichts Besseres zu tun, als uns den Dreck heranzuschleppen«, schimpfte Reineboth. Die Chargen höhnten: »Daheim ist daheim. Lasst den Abfall von der Straße auflesen, die Leute knurren schon.«
»Auch das noch«, stöhnte Reineboth, »wie viel liegt davon herum?«
»Ein Lastauto voll.«
»Also rin mit dem Gelumpe! Nach uns die Sintflut …«}
Wieder jagte Reineboth ins Lager zurück. Wieder wurde ein Schwall ausgemergelter Menschen zum Tor getrieben. Wieder schrie Reineboth durchs Mikrophon: »Sämtliche Blockältesten und der Lagerschutz zum Tor!« Wieder scheuchte der Ruf die Gemüter auf. Was ist los? – Die Blockältesten stürzten zur Schreibstube und sammelten sich hier. Schon spie das Loch am Torgebäude die brodelnde Masse ins Lager hinein.
Unflätig hatte Kluttig gekreischt, als sich das Getümmel heranwälzte: »Leckt mich am Arsch, ich habe es satt!« Und Reineboth hatte ihn angeschrien: »Mir überlässt du es, damit fertigzuwerden. Ich bin nur Rapportführer, es ist immerhin deine Dienstpflicht …«
»Meine Dienstpflicht? Schließlich bin ich nur Zweiter! Soll sich Weisangk darum kümmern! Der Hund säuft sich bei Schwahl das Loch voll!« Tatsächlich hatte es Kluttig dem Jüngling überlassen, sich mit der Flut herumzuschlagen, und war zum Offizierskasino gelaufen.
Einige schnell herangerufene Lastautos hielten vor dem Tor. SS-Posten sprangen von den Wagen. Reineboth machte sich nicht die Mühe, den Appellplatz durch Blockführer abzusperren, er ließ die Masse durchs Tor quellen und schrie Krämer an, der mit den Blockältesten angelangt war: »In die Blocks mit dem Zeug, aber schnell!«
»Die Blocks sind überfüllt, Rapportführer. {Wir haben keine Betten, keine Decken.«
»Wünschen Sie sonst noch was?«
»Wo sollen wir die Menschen unterbringen?«}
Reineboth überschrie sich: »Das ist mir egal! Machen Sie den Appellplatz sauber!« Er jagte den angetretenen Lagerschutz auf: »25 Mann auf die Autos. Marsch, marsch! Auf den Straßen die Toten einsammeln!« Es ging im Hetztempo.
Die Autos rasselten fort. Krämer musste schnell handeln.Durch die Blockältesten und den verbliebenen Lagerschutz ließ er die Zugänge in großen Trupps vom Appellplatz führen und dirigierte alles nach dem Bad. Die Häftlinge aus dem Lager strömten herbei, mischten sich unter die Neuangekommenen. »Wo kommt ihr her? Wie sieht es draußen aus?«
Blockälteste und Lagerschutz wehrten die Neugierigen ab, drängten sie von den Zugängen zurück. Es gab ein Gewimmel und Durcheinander, als schiene alle Ordnung aufgelöst. Vor dem Bad staute es sich. Krämer durfte nicht die Nerven verlieren. In den zum Brechen überfüllten Blocks musste Platz geschaffen werden. {Der Zwang der} Not ließ keine Auseinandersetzungen zu, Krämer musste befehlen. Irgendein
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