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Nackt unter Wölfen

Nackt unter Wölfen

Titel: Nackt unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Apitz
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sonderbar zu flüstern begonnen. »Marian …« – »Tak?« – »Hörst du? … Die Juden … Sie werden entlassen … Sie gehen nach Hause … Wir gehen alle nach Hause …« {Kropinski hatte dazu geschwiegen und sich gedacht, dass die fromme Hoffnung Höfel Kraft geben möge.} Heute, schon seit dem Morgen, war Höfel von einer seltsamen Unruhebefallen. Auf dem Bunkergang herrschte eine steinerne Stille. Keine Zelle wurde aufgeschlossen, kein Lärm, wie ihn der Mandrill sonst immer veranstaltete, war zu hören. Die frühe Morgenstunde des Weckens verging. Schon längst standen die beiden mit dem Gesicht zur Tür. Die Stunde des Lagerappells kam. Nichts rührte sich. Die Stunde des Appells ging vorüber. Immer unruhiger wurde Höfel. »Da stimmt etwas nicht«, flüsterte er erregt. Plötzlich vergaß er, dass er stehen zu bleiben hatte, und torkelte zum Fenster, blickte aufmerksam zu dem kleinen Geviert hinauf. Kropinski wurde ängstlich, flüsternd bat er: »Stelle dich wieder hin, André. Wenn dich sehen der Mandrill am Fenster, er machen uns tot.« Höfel schüttelte heftig den Kopf. »Kann er nicht! Wir haben doch den Strick um den Hals.« Trotzdem kehrte er zurück und nahm mechanisch den gewohnten Platz ein. Eine ganze Weile stand er lauschend, schluckte ein paarmal, der kantig hervorstehende Adamsapfel hob und senkte sich, die Ader am dürren Hals pulste. Höfel schien angestrengt über etwas nachzudenken. Auf einmal schleifte er zur Zellentür, presste das Ohr an und horchte.
    »Bruder«, flehte Kropinski, »du musst kommen hierher …«
    In jäher Angst starrte Höfel Kropinski an. »Fort!«, stieß er hervor. »Alles ist fort!« Aufbäumend reckte er sich an der Tür hoch, riss die Arme nach oben, noch ehe er aber mit wilden Fäusten gegen die Tür trommeln konnte, war Kropinski bei ihm und zerrte ihn zurück. Höfel taumelte in Kropinskis Arme hinein und wimmerte: »Sie haben uns vergessen! … Wir sind allein auf der Welt! … Jetzt müssen wir ersticken!«
    Kropinski drückte Höfel brüderlich an sich und versuchte ihn zu beruhigen, doch Höfels Sinne waren nach innen gekehrt, er machte sich frei, zerrte am Strick, dass sich die Schlinge zuzog, und schrie: »Ersticken … ersticken …!« In greller Angst presste ihm Kropinski die Hand auf den Mund, dass der Schrei gurgelnd ertrank. Höfel wehrte sichmit plötzlicher Kraft, die beiden kämpften miteinander. Höfel gelang es, die Hand wegzureißen, in grellem Trompetenton brach der befreite Schrei durch. In wildem Entsetzen mühte sich Kropinski, den um sich Schlagenden zu bändigen, ihm den Mund zuzuhalten. Gurgelnd und röchelnd und immer wieder losschreiend, wand sich Höfel in den ihn umklammernden Armen, aber es war schon zu spät. Die Tür wurde aufgeschlossen, und der Mandrill kam in die Zelle, hinter ihm, bleich und schattenstill, Förste. Entsetzt ließ Kropinski den Schreienden fahren und starrte auf den Mandrill. Der sprach kein Wort. Er kniff die Augen zusammen und blickte abschätzend auf den schreienden Höfel, Sekunden nur. Da holte der Mandrill aus. Es war ein furchtbarer Schlag. Mit nach Halt rudernden Armen taumelte Höfel in die Ecke, prellte gegen die Wand, im Niederstürzen riss er den Marmeladeneimer um, dessen ekler Inhalt den bewusstlos Zusammengebrochenen überschwabbte. Mit unbeteiligtem Blick prüfte der Mandrill die Wirkung seines Hiebes und verließ die Zelle. Einen Augenblick blieb er vor der verschlossenen Tür stehen. Drohend sagte er: »Wenn der mir vorher krepiert …«
    »Man müsste ihn saubermachen …«, wagte Förste zu raten. Der Mandrill blickte ihn kalt an. »Samariter spielen, was?« Er ging in sein Zimmer und ließ den Kalfaktor unbeachtet zurück …
     
    Durch den Alarm wurde der Abtransport der jüdischen Häftlinge verhindert. Im Brüllen der Sirene ließ Kluttig die zusammengetriebenen Menschen durch die Hundestaffel in eine leerstehende Werkhalle außerhalb des Lagers treiben, die vom Bombenangriff im August 1944 übriggeblieben war. In großer Höhe zogen mächtige Geschwader über das Lager hinweg.
    Auf der Straße, die von Weimar nach dem Lager führt,hatte der Alarm einen nach Tausenden zählenden Zug von Häftlingen überrascht, die aus den Zweiglagern des Harzes und Thüringens auf der Flucht vor den Amerikanern nach Buchenwald unterwegs waren. Umheult von den Sirenen aus Weimar und den umliegenden Dörfern, kroch der graue Elendszug die Landstraße entlang. Auf dem offenen Gelände gab es keine

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