Nackt unter Wölfen
Wahrheit gesagt, und ich sage dir noch einmal, ich habe das Kind nicht fortgeschafft.«
»Einer von uns muss es aber gewesen sein.«
Bogorski bestätigte mit eifrigem Kopfnicken.
»Weißt du, wo sich das Kind befindet?«
{»Wie ich wissen, wenn ich nicht habe fortgebracht?«}
Bochow seufzte. Er glaubte Bogorski nicht. »Nur du und kein anderer hat das Kind versteckt. Warum sagst du mir nicht die Wahrheit?«
Bogorski hatte nur ein bedauerndes Achselzucken für denMisstrauischen übrig. »Wenn du mir nicht glauben: nun gutt. Ich kann nicht hineinprügeln in dich die Wahrheit.«
Dabei blieb es.
Überraschend wurde an diesem Abend seit langer Zeit wieder einmal ein deutscher Wehrmachtsbericht durchgegeben.
Schwahl hatte dazu bereits am Nachmittag den Befehl erteilt, als er mit Kamloth den Abtransport besprach.
»Wollen Sie noch immer evakuieren, Standartenführer?«
Schwahl, mit auf dem Rücken verkrampften Händen, ging um den Schreibtisch herum und antwortete Kamloth nicht.
»Sehen Sie sich die Front an, verdammt noch mal! Mit Ihrer Gehorsamsduselei schicken Sie uns alle noch in die Hölle. Wir verlieren nur Zeit.«
»Wir
haben
noch Zeit!«, fuhr Schwahl hysterisch auf. »Unsere Truppen halten ihre Stellungen!«
Kamloth lachte trocken. »Wie lange?«
Schwahls schwammiges Gesicht zerfloss wie Teig. »Machen Sie mir nicht auch noch das Leben schwer. Morgen schaffen Sie 10 000 Mann nach Dachau, basta!«
Wieder lachte Kamloth trocken. »Die Dachauer werden uns herzlich willkommen heißen! Vielleicht sind die gerade dabei, ihr eigenes Lager leer zu machen, vielleicht in Richtung auf Buchenwald? Ein nettes Ringelspiel, das wir da veranstalten. – Schießen Sie die Brut hier zusammen, und Sie sind den Dreck mit einem Mal los.«
Schwahl wollte auffahren, er fuchtelte schon mit den Händen auf Kamloth ein, lief dann aber wieder um den Schreibtisch herum. »Sie sind doch ein vernünftiger Mann, Kamloth. Glauben Sie, dass Sie sich auf Ihre Truppe noch verlassen können? Sie ist nicht mehr der alte Kern, da ist viel Krampfadergeschwader darunter.«
»Ein Befehl genügt!«, protzte Kamloth.
Schwahls Gesicht lief breit aus. »Meinen Sie? Ich weiß wasanderes. Kluttig hat Ihrer Hundestaffel mit meiner Erlaubnis den Befehl gegeben, nach den 46 zu suchen. Nicht einen davon haben sie gefunden.«
»Weil sie keinen finden konnten.«
»Oder wollten … Vielleicht kenne ich Ihre Truppe besser als Sie? – Der Krieg ist verloren. Oder wie bitte?« Schwahl blieb vor Kamloth stehen. »Das Loch, auf dem wir pfeifen, ist das letzte. Oder wie bitte? – Wer verliert, wird vorsichtig, ob General oder Soldat. Muss ich mich noch deutlicher ausdrücken?«
Kamloth widerlegte störrisch die ihm unangenehme Wahrheit:
»Lassen Sie uns erst unterwegs sein, dann werden meine Jungens ballern, als hätten sie Hasen vor sich.«
Schwahl spießte diese Versicherung schnell mit dem Finger auf:
»Das ist etwas ganz anderes! – Aber hier in der Mausefalle, mein Lieber …«
»An was Sie alles denken.«
Feldherrneitel entgegnete Schwahl: »Ich denke an viel. Zum Beispiel …« Er ging zum Telefon und gab Reineboth den Auftrag, den heutigen Wehrmachtsbericht im Lager bekanntzugeben. »Wer verliert«, sagte er darauf, seine Sentenz wiederholend, »wird vorsichtig, das gilt auch für die da drinnen. Wenn sie hören, dass wir die Amerikaner aufhalten, sinkt das Barometer, und sie marschieren morgen früh wie die Hammel durchs Tor.«
Voller Spannung wurde der Bericht in den Blocks abgehört. Seine Wirkung war, wie es Schwahl erwartet hatte.
Im Raum von Eisenach, Meiningen und Gotha war der Vormarsch der Amerikaner zum Halten gebracht worden. Angstvoll sahen sich die Häftlinge an. Was wird nun werden? – Noch immer bestand die Alarmstufe 2 für die Widerstandsgruppen.Sie durften die Blocks nicht verlassen und mussten sich bereithalten. Außer der Anweisung, mit dem Transport zu gehen, war von der Leitung keine neue gegeben worden. War der Operationsplan, für den die Gruppen schon seit Monaten eingeteilt waren, über den Haufen geworfen? Wie unklar und verworren war die Lage, und sie verwirrte sich an diesem Abend noch mehr, als Parolen durchs Lager liefen, dass beiderseits von Erfurt amerikanische Fallschirmtruppen gelandet seien. Die Kommandierten, die heute früher als sonst eingerückt waren, hatten diese Neuigkeit mitgebracht. Süchtig wurde die Parole weitergegeben und aufgenommen, stand sie doch im krassen Gegensatz zu
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