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Nackt unter Wölfen

Nackt unter Wölfen

Titel: Nackt unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Apitz
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Deckung. Obwohl die hochfliegenden Geschwader keine direkte Gefahr bedeuteten, war die Begleit-SS durch den Alarm wild geworden. Wie brüllende Viehtreiber jagten die staubbedeckten Scharführer an den Kolonnen hin und her, die von Posten mit dem Karabiner im Anschlag eskortiert waren, und prügelten mit schnell von den Bäumen abgerissenen Ästen die erschöpften, dreckverkrusteten und zerlumpten Menschen zum Laufschritt an. Einer verängstigten, in sich zusammengedrängten Herde gleich, Brust an Rücken, war die Masse den zuschlagenden Rohlingen umbarmherzig preisgegeben. Aber der Zug kam nicht schneller vom Fleck.
    »Lauft! Lauft! Wollt ihr wohl laufen!«
    Die Füße hatten keinen Platz und auch keine Kraft mehr, nur die hüpfenden Köpfe zeigten, dass die schleppenden Beine einen Laufschritt versuchten. Über dem wogenden Strom der Köpfe brummten die Geschwader und tanzten die Knüppel. Stofffetzen schlenkerten um die nackten, blutig aufgelaufenen Füße. Die marternden Holzschuhe waren auf dem langen Marsch verloren oder weggeworfen worden. Das Gedröhn der Bomber und das Gebrüll der Scharführer vereinten sich zu einem schaurigen Duett.
    »Lauft, lauft!«
    Voller Wut hetzten die Scharführer umher.
    Schüsse knallten, auf der Straße wälzten sich Zusammengebrochene und Zusammengeschossene, wurden von den Posten an den Straßenrand geschleift und liegengelassen.
    »Lauft, lauft!«
    Prügel, Schüsse, Schreie, Wimmern, Blut, Staub, trampelnde Füße, hüpfende Köpfe … Was zusammenbrechen wollte, wurde hochgerissen, mitgeschleift; was unter den Tausendfüßler geriet, zertreten.
    Neun Kilometer Marsch war es von Weimar bis zum Lager. Bauern drückten sich vorsichtig zur Seite, wenn sie dem Zug begegneten. Zwei Polizisten auf Rädern kamen herangefahren und stellten die Scharführer zur Rede. »Ihr legt die Leute um und lasst sie liegen. Wenn die Amerikaner kommen, dann machen sie uns dafür verantwortlich.«
    »Schnauze! Das ist unsere Sache. Haut ab!«
    Acht Kilometer noch bis zum Lager. Die Straße stieg an, der Berg war erreicht.
    »Lauft, lauft!«
    »Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr …«
    »Halte durch, Kumpel, halte durch, wir sind bald da …«
    Nach einer Stunde Marsch begann der Wald. Höher ging es den Berg hinauf. Das Ächzen der Erschöpfung wurde lauter. Die wild gewordene SS ließ im Prügeln nicht nach.
    Schüsse!
    Wieder einer, oder zwei, oder drei …
    Längst war aus dem Laufschritt wieder der taumelnde Trott geworden. Der Zug hatte sich gedehnt, die Füße hatten mehr Raum. Mit dem Kopf nach vorn, dumpf und stumpf, schwanken und torkeln die Menschen dahin … Einer im Zug strauchelt, streckt im Stürzen schützend die Hände aus …
    »Lauf zu, du Aas!«
    Wer zurückbleibt, stirbt …
    Lieber Gott, lass mich nicht liegenbleiben!
    Mit letzter Kraft versucht sich der Erschöpfte aufzurichten, aber schon wird er von dem Posten aus der Menschenschlange herausgerissen, kriechend will er sich fortbewegen, ein Scharführer zieht die Pistole, tritt auf den Wurm ein: »Hund, verfluchter!« Ein Schuss peitschte, noch einer!
    Weiter, weiter, immer höher ging es den Berg hinauf.
    Weimar ist schon weit zurückgelassen. Alle witterten sie schon die Nähe des Lagers. Vorbei ging es an den kalkigweißen Schildern mit der schwarzen Schrift »Achtung, Kommandanturbereich …« und dem Totenkopf mit den sich kreuzenden Knochen als Signum.
    Dem Zug voran stapften einige höhere SS-Chargen. Sie stutzten und blieben stehen. Der Zug geriet ins Stocken.
    Vier stahlhelmbedeckte Häftlinge mit Gasmasken und Verbandskästen standen vor ihnen.
    »Was seid ihr denn für Kerle?«
    Stramme Haltung, Meldung: »Sanitätstrupp. Auf Befehl des Kommandanten bei Fliegeralarm außerhalb der äußeren Postenkette.«
    Die Chargen sahen sich belustigt an. »Was es hier nicht alles gibt … He, ihr komischen Vögel, wie weit ist es bis zum Lager?«
    »Noch zehn Minuten, Untersturmführer.«
    Ein Wink und die Schlange begann wieder zu kriechen, vorbei an Splittergräben und Schützenlöchern, in denen die Posten der dreifach gestaffelten Kette hockten.
    Da heulte die Sirene auf, bis ihr der lange Atem ausging und sie brummend verlöschte: Entwarnung. Am Schlagbaum regte es sich. Die Posten krochen aus den Splittergräben. Die SS-Chargen langten an.
    »Wie viel wir von dem Gerümpel mitbringen? Das wissen wir nicht. Vielleicht sind es dreiundeinhalbtausend? Vielleicht sind es auch nur dreitausend, was wissen wir, wie viel

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