Nackt unter Wölfen
und trat einen Schritt vor. Auf dem Tisch des Blockältesten hatte er das Kind entdeckt! Es klammerte sich angstvoll an Bochow, der seine Arme um das Zitternde legte. Kluttig öffnete den Mund, sein Adamsapfel stieg. Bochow stand unbeweglich. Das Schweigen der Häftlinge war zur Starre geworden: Plötzlich kreischte Kluttig auf: »Ach, so ist das?!«
Mit einem wilden Griff riss er die Pistole aus der Tasche.
Da geschah etwas Unerwartetes. In Sekundenschnelle war um Kluttig ein leerer Raum entstanden. Vor dem Kind hattesich eine Mauer von Häftlingen aufgebaut. Kein Wort, kein Ruf war gefallen. Stumm standen die Männer, ihre Augen waren auf Kluttig gerichtet.
Der fuhr jäh herum, als spüre er etwas hinter sich. Auch hinter ihm waren sie zusammengerückt, dicht auf dicht. Die Tür war verstellt. –
Kluttig stand isoliert.
Ringsum schweigende Gesichter, hängende Arme, Fäuste. Augen verfolgten aufmerksam jede seiner Bewegungen … Kluttig benahm sich wie eingefangen. Er spürte das Abwartende, Sprungbereite um sich, witterte Gefahr. Schießen? – Ruckartig riss er die Pistole zum Anschlag.
Da geschah noch etwas Unerwartetes. Die Häftlinge an der Tür – Mitglieder der geheimen Gruppen – traten zur Seite. Die Tür war frei … Das war eine schweigende Aufforderung. – Auf Kluttigs harten Backenknochen brannten Flecke. Die Sprache verschlug sich ihm, der Gaumen war ihm trocken. »Ach – so – ist – das …«, fauchte er. Mit einem Satz war er an der Tür. –
Einige Blockälteste waren, als sie Krämer beim Kommandanten sahen, hinzugekommen.
»Warum treten die Häftlinge nicht an?«, schrie Schwahl erneut.
Krämer trat vor. »Sie fürchten sich vor den Tieffliegern, die Eisenbahnen und Kolonnen beschießen.«
Schwahl ruckte sich in den Schultern und stemmte die Fäuste ein: »Ihr steht unter unserem Schutz. Ich gebe noch eine halbe Stunde. Wenn das Lager nicht angetreten ist, dann lasse ich es mit Waffengewalt räumen.«
Im gleichen Augenblick, als Kluttig herbeistürzte, begann die Sirene zu röhren, so unerwartet, dass Schwahl erschrocken ins Auto sprang. Auf und nieder mahlte die Sirene ihren Heulton.
»Hauptsturmführer!«, schrie Kamloth aus dem Wagen.
Noch vom Geifer der Wut übergossen, warf sich Kluttig auf Krämer, schlug ihm die Faust ins Gesicht, schrie: »Hund, verfluchter!«
Krämer taumelte rückwärts.
Kluttig sprang ins Auto, hob die Pistole, ein Blockältester schrie auf, da drückte Kluttig ab, zweimal, dreimal. Die Schüsse krachten schnell hintereinander. Krämer griff mit beiden Armen in die Luft, als wolle er dem davonjagenden Auto nach, fiel vornüber und wälzte sich. Die Sirene schrie noch immer.
Aus den umliegenden Blocks waren Häftlinge herbeigestürzt. Bochow drängte sich durch den Haufen und beugte sich über Krämer. »Schnell, ins Revier.«
Eine umgekehrte Bank als Tragbahre benutzend, brachten sie Krämer zu Köhn. –
In den vorderen Blockreihen waren die Schüsse nicht gehört worden. Die Häftlinge an den Fenstern sahen die Autos zurückkommen. Im Vorbeijagen rief Kamloth der unruhig gewordenen SS Befehle zu.
Die Sirene sank in sich zusammen.
Die Häftlinge an den Fenstern jubelten, als sie sahen, wie die SS die Waffen aufnahm und im Eilschritt durchs Tor verschwand.
»Sie hauen ab, sie hauen ab!«
In bangem Schweigen umstanden Bochow und die Blockältesten, die Krämer gebracht hatten, den Tisch, auf dem der Verwundete lag.
Sicher und ruhig hantierte Köhn. Mit der Sonde entfernte er die Kugeln aus zwei dicht nebeneinanderliegenden Einschüssen auf der Brust. Er säuberte die Wunden, und zwei Pfleger legten die Verbände an.
»Lebensgefahr?«
Köhn ging wortlos zur Wasserleitung, wusch sich die Hände, wandte sich zu Bochow, der ihn gefragt hatte, und schüttelte den Kopf. »Den legt uns kein Kluttig um …«
Schon zwei Stunden währte diesmal der Alarm. Mit Frohlocken saßen die Häftlinge beisammen. Draußen musste ein mörderischer Kampf entbrannt sein. Es rumorte ununterbrochen. Abschüsse, Einschläge waren zu hören, so als ob es immer näher kommen wollte …
Sie hatten Krämer im Aufenthaltsraum der Pfleger auf ein Bett gelegt. Köhn saß neben ihm und wartete auf das Erwachen. Endlich rührte sich der Verwundete und öffnete die Augen.
»Na? – Was ist denn?«, fragte er grob und verwundert, als er über sich das Gesicht des Schauspielers sah.
»Alarm«, antwortete Köhn freundlich.
»Was mit mir los ist, will ich
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