Nackt unter Wölfen
Polen und gibst ihm den Koffer zurück«, sagte er karg. Pippig schob die Hände in die Hosentaschen und kniff die Augen zusammen.
»Den leeren Koffer natürlich?« – Die Frage war ein Angriff.
Höfel sah dem Kleinen scharf ins Gesicht.
»Nein!«, erwiderte er kurz und wollte gehen. Pippig hielt ihn am Arm zurück.
»Das Kind bleibt hier!«
Höfel fuhr herum: »Das bestimmst du nicht!«
»Du auch nicht!«, schlug Pippig zurück.
Sie sahen sich mit harten Augen an, in beiden schoss die gleiche Welle hoch.
»Hast du Angst?«, fragte Pippig versöhnend.
Höfel wandte sich verächtlich ab.
»Rede keinen Quatsch!«
Pippig hielt ihn erneut am Arm zurück, bat:
»Lass das Kind hier, André. Du brauchst dich um nichts zu kümmern, ich übernehme alle Verantwortung.«
Höfel lachte trocken auf.
»Verantwortung? Und wenn es herauskommt, wen haben sie dann beim Arsch? Dich oder mich? – Mich, den Kapo! Nichts ist, das Kind geht mit dem Polen.« Er ließ Pippig stehen und ging in das Schreibbüro.
Pippig blickte ihm traurig nach. Jetzt war es ihm klar: Höfel hatte Angst! In Pippig stieg eine Welle des Unmuts und der Verachtung auf. Gut, wenn der Angst hat und nichts riskieren will, dann werde ich dafür sorgen, dass das Kind in Sicherheit gebracht wird. Es musste aus der Kammer verschwinden, und zwar sofort. War es erst einmal anderswo versteckt, dann konnte Höfel ihm nichts mehr wollen. Pippig schnaufte sorgenvoll.
Wohin mit dem Kind? Er wusste es nicht sogleich, doch das änderte nichts an seinem Entschluss.
Mit Kropinski wollte er sich besprechen, irgendetwas würde sich finden.
Für Höfel war es nicht leicht, den braven Pippig so hart anzunehmen, und er wusste auch, was dieser über ihn dachte.
Ein Wort, und Pippig würde alles verstehen. Doch dieses Wort konnte nicht gesprochen werden.
Später kam Krämer. Er zog sich mit Höfel in eine Ecke der Kammer zurück.
»Am Nachmittag geht der Transport ab.«
Höfel nickte. »Ich habe schon die Liste.«
»Was ist?«, forschte Krämer.
Höfel blickte von Krämer weg zum Fenster hinaus.
»Was soll sein?«, entgegnete er und zuckte mit den Schultern.
»Das Kind geht selbstverständlich mit.«
Krämer hörte den Schmerz aus Höfels Entgegnung heraus und wollte ihm ein gutes Wort sagen.
»Ich bin doch kein Unmensch, André, aber du musst doch begreifen …«
»Begreife ich etwa nicht?« Fast feindselig fuhr Höfel auf Krämer ein. Der wollte es nicht zu einer Auseinandersetzung kommen lassen und musste sich selbst zu einer Härte zwingen, die schmerzvoll war. Darum nickte er nur stumm, streckte Höfel die Hand hin und sagte versöhnend:
»Ich kümmere mich nicht weiter darum, damit du es weißt. Alles ist nun deine Sache.« Er ging.
Höfel blickte finster hinterher. Alles war nun seine Sache. Müde ging er nach hinten in den Winkel. Das Kind saß auf seinem Lager und spielte mit »bunten Bildchen«, einer alten Skatkarte, die Kropinski ihm gebracht hatte.
Kropinski, der neben dem Kind hockte, blickte dankbarzu Höfel auf. Der schob die Mütze ins Genick und strich sich über die Stirn.
Dem Kind war er bereits vertraut geworden, es lächelte ihn an. Doch Höfel blieb seltsam ernst. Sein Blick glitt über das Kind hinweg, und er sagte zu Kropinski mit einem Klang in der Stimme, der ihm selbst fremd war:
»Du musst das Kind zu dem Polen zurückbringen.«
Kropinski schien nicht recht zu verstehen, darum fügte Höfel barsch hinzu:
»Er geht auf Transport.«
Kropinski erhob sich langsam.
»Transport?«
In Höfel war ein ärgerliches Drängen, er wollte die Sache schnell hinter sich haben. Plötzlich schnauzte er Kropinski an: »Ist das was Besonderes?«
Kropinski schüttelte mechanisch mit dem Kopf. Transport war nichts Besonderes. Warum aber war Höfel so böse zu ihm?
»Wohin Transport?«, fragte Kropinski.
Höfels Gesicht wurde noch finsterer, grob antwortete er:
»{Was geht es dich an?} Tu, was ich dir sage.«
{Welch fremder Ton!}
In plötzlich aufschießender Angst weiteten sich Kropinskis Augen. {Bergen-Belsen!} Ein Wort des Widerspruchs formte sich auf seinen Lippen, doch er blieb stumm und blickte nur mit einem leeren, fatalen Lächeln in Höfels finsteres Gesicht. Dieser fürchtete sich, seine Spannkraft zu verlieren, und herrschte Kropinski an: »Nimm das Kind, ehe Zweiling kommt und … und …«
Kropinski kauerte sich nieder, nahm die »bunten Bildchen« behutsam aus den kleinen Händen, legte die Spielkarten sorglich zusammen
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