Nackt unter Wölfen
gekommen war, stand am Durchsage-Lautsprecher und hörte die Nachrichtensendungen ab.
Wunderlich zog ihn beiseite.
»Ich schicke dir morgen früh eine Flasche Milch. Pippig holt sie sich bei dir ab.«
Der Schneider nickte und strich sich kreuzweise über die Oberlippe. Eine Angewohnheit noch aus seinem Zivilleben, früher hatte er einen Schnurrbart getragen.
»Pass auf«, instruierte Pippig den Schneider, »ich bringe ein paar alte Mäntel zu dir. Du hast sie von uns angefordert, verstanden?«
Lange nickte: »Jaja, bring sie nur.«
Ein umständlicher Weg, um einen halben Liter Milch zu organisieren, und bei aller Bereitschaft der Beteiligten ein gefährlicher Weg. Wurde Pippig am Lagertor erwischt, platzte die Sache. Er flog unweigerlich in den Bunker, hatte er Glück, bekam er seine 25 übergezogen {über den Arsch. Bitte sehr, gern genommen. Für den Kleinen}. Hatte er Pech, dann landete er im Krematorium, und der Bart war ab. Doch Pippig {hatte keine Angst}. Bei allen tollen Sachen, die er angestellt hatte, beherrschte ihn stets ein optimistisches Gefühl: derliebe Gott verlässt keinen Freidenker. Als er sich vor dem Block von Wunderlich verabschiedete, ermahnte ihn dieser:
»Mensch, lass dich bloß nicht schnappen.«
Pippig setzte zu einer empörten Erwiderung an, aber Wunderlich winkte lachend ab:
»Ich weiß schon, du pippst …«
Pippig trollte sich befriedigt von dannen. In den Block zurückgekehrt, traf Wunderlich auf den Sanitäter vom SS-Re vier .
»Du, Franz, kannst du mir morgen früh ein bisschen Traubenzucker rüberschicken?«
Der Sanitäter wiegte bedenklich den Kopf.
»Traubenzucker? Von dem Zeugs haben wir selber nicht mehr viel.«
»Ich brauch’s für einen Kumpel.«
Der Sanitäter seufzte: »Eine Packung, mehr nicht. Ich schicke sie dir mit dem Läufer.«
Wunderlich klopfte Franz auf die Schulter.
Krämer saß noch über dem Appell für den morgigen Tag, als Höfel eintrat. Er setzte sich auf einen Schemel und zündete sich eine Zigarette an. Krämer warf einen kurzen Blick auf ihn.
»Hat es geklappt?«
Höfel rauchte schweigend.
»Da hatte einer im Zug einen Sack auf dem Buckel, das war doch sicher …«, fragte Krämer überm Schreiben.
Höfel brauchte nur zu nicken, und Krämer wäre zufriedengestellt worden. Doch er reagierte nicht, sondern blickte zu Boden. Krämer wurde stutzig.
»Was ist?«
Höfel schob den Rest der Zigarette unter die Schuhsohle und zerscheuerte ihn.
»Ich muss dir was sagen …«
Krämer legte den Bleistift aus der Hand.
»Hast du etwa das Kind nicht mitgegeben?«
Höfel sah ihm ins Gesicht: »Nein.«
Ein plötzliches Schweigen stand zwischen ihnen.
»Mensch …« Krämer sprang auf, lief zur Tür und öffnete. Es war seine Gewohnheit, sich zu überzeugen, ob sie allein waren. Die Schreibstube war leer. Krämer schloss die Tür wieder und lehnte sich dagegen{, als brauche er einen Halt}. Er schob die Hände in die Taschen, presste die Lippen fest aufeinander und sah vor sich hin. Höfel wartete auf den Ausbruch, entschlossen, sich mit aller Kraft entgegenzustemmen.
Doch Krämer blieb seltsam ruhig, und es dauerte eine ganze Weile, ehe er sprach.
»Du hast dich einer Anweisung widersetzt!«
»Ja und nein!« {Von Krämers Blick festgehalten, wurde Höfel unsicher. »Jaja, natürlich, Walter.«}
Krämer wartete, dass Höfel weitersprach, aber der schwieg.
»Und?«, fragte Krämer schließlich.
Höfel schöpfte Atem.
»Es ist etwas eingetreten …« Er stockte, und stockend auch berichtete er, was sich zwischen ihm und Zweiling zugetragen hatte. Es sollte Erklärung und Entschuldigung zugleich sein.
Krämer ließ ihn zu Ende sprechen, seine Backenknochen arbeiteten, und er schwieg noch, als Höfel längst zu Ende war. Sein Gesicht bekam einen harten Zug, die Pupillen wurden eng. Endlich sagte er mit sonderbar heiserer Stimme:
»Glaubst du das alles auch, was du mir da erzählst?«
Höfel hatte seine Sicherheit zurückgewonnen und entgegnete barsch:
»Ich lüge dir nichts vor.«
Krämer stieß sich mit einer umständlichen Bewegung derSchultern von der Tür ab, ging einige Male hin und her und sagte mehr zu sich selbst:
»Natürlich belügst du mich nicht, aber …« Er blieb vor Höfel stehen. »Aber vielleicht belügst du dich selber?«
Höfel machte eine unwillige Bewegung, da brach es aus Krämer heraus:
»Du hast dich mit einem Spitzbuben eingelassen!{« Fast schreiend sagte er es. »Der} Zweiling ist doch ein Spitzbube!
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