Nackt unter Wölfen
Der Bursche sucht bei uns nur Rückendeckung!«
Aber auch Höfel, entschlossen, den Kampf aufzunehmen, wurde lebendiger: »Damit haben wir ihn in unserer Hand.«
Ein trockenes Lachen kollerte aus Krämer heraus.
»In der Hand? Mensch, André, wie lange bist du im Lager? Sechs Monate, was?« Er fuchtelte mit dem Daumen. »Der schafft sich auch Rückendeckung bei seinen Leuten. Mal so, mal so, wie der Wind weht. Sie brauchen die Amerikaner nur fünf Kilometer zurückzuschlagen, schon kriegt mein Zweiling wieder Luft auf den Kasten, und dann hat er dich beim Arsch und das arme Wurm dazu! Mensch, André, was hast du da angerichtet!«
Höfel hob die Hände, es sah aus, als wolle er sich die Ohren zuhalten.
»Mach es mir doch nicht so schwer!«
»Du machst es
uns
schwer!«{, parierte Krämer kühl.}
Höfel stöhnte gequält:
»Ich konnte doch das Kind nicht …«
»Du solltest das Kind an seinen Betreuer zurückgeben, so war die Anweisung. Du hast sie nicht befolgt. Das ist Disziplinbruch!«
»Wenn wir lebend herauskommen, dann werde ich es vor der Partei verantworten, verlass dich darauf«, versicherte Höfel.
Krämer sah ihm hart in die Augen: »Die Partei ist
hier
!«
Höfel hatte eine heftige Entgegnung bereit, aber sie erstarb ihm auf den Lippen.
Von Krämers Blick festgehalten, schlug er die Augen nieder. Zu seiner eigenen Zerknirschung musste er sich gestehen, dass Krämer recht hatte. Dennoch bäumte sich alles in ihm auf, wenn er auch nur daran dachte, das Kind seinem Schicksal überlassen zu müssen. Als ob eine mächtige Hand einen Schlüssel ihm ins Herz stoßen und es verschließen würde, so war es ihm. Schuldig fühlte er sich am Kind und schuldig an der Partei. Der Kopf sank ihm auf die Brust.
»Ich konnte nicht anders … ich … konnte … es nicht«, sagte er leise, es war Bitte und Qual.
In diesem Augenblick liebte Krämer den gepeinigten Mann, aber er bezwang sich. »Nicht irgendwann einmal, sondern hier und jetzt wird das geregelt«, sagte er unerbittlich.
Beide schwiegen. Krämer hatte eine scharfe Falte zwischen den Brauen. Unruhig begann er umherzuwandern, er schien nach einem Ausweg zu suchen.
»Das Kind nimmt mir keiner mehr ab«, sagte er schließlich {mehr zu sich selbst} und fuhr zugleich auf Höfel los: »Oder bildest du dir ein, dass ich es irgendjemandem noch als Reisegepäck mitgeben kann?«
Er geriet in neuen Ärger und stapfte wütend umher.
»Hättest du das Kind dem Polen zurückgegeben, dann wäre es schon aus dem Lager, und alles wäre gut. Und was ist nun? Was ist nun?«
Er setzte sich auf den Tisch und faltete die Hände zwischen den offenen Knien. Höfel ließ sich müde auf dem Schemel nieder. In ihm war nichts mehr von jenem befreienden Flug des Herzens …
Der erwartete Zusammenstoß war ausgeblieben, und alles Hohe und Hehre der Tat hatte sich verflüchtigt. Zurückgeblieben war nur ihr nackter und nüchterner Bestand: Disziplinbruch! Höfel sah vor sich hin.
Krämer zog die gefalteten Hände auseinander und sagte endlich milder als sonst:
»Wir wollen nicht zu Feinden werden, André, nicht zu Feinden. Der Spitzbube ist es nicht wert.«
Schwerfällig ließ er sich vom Tisch gleiten und setzte, einem plötzlichen Entschluss folgend, hinzu:
»Du musst mit Bochow sprechen. Du
musst
!«, beharrte er, als Höfel heftig verweigerte. »Lass es unter uns bleiben, Walter. Mag Bochow glauben, das Kind sei mit dem Polen gegangen.«
Höfels Bitten machten Krämer nervös.
»Jetzt, da das Kind im Lager bleiben muss –
muss!
hörst du?«, knurrte er, »ist es nicht mehr unsere Sache allein. Ich kenne deine Funktion nicht. Du sollst mir gar nichts davon erzählen, aber du musst wissen, in welche Gefahr du dich mit dem Kind gebracht hast.«
»Was hätte ich tun sollen, als ich es fand?«
»Quatsch! Darum geht es nicht. Du hattest Anweisung, das Kind aus dem Lager zu bringen.«
»{Nach Bergen-Belsen!}« Höfels verzweifelter Ruf war wie ein Schnitt. Krämer schnaufte, sein Blick wurde finster. Die beiden Männer standen sich wortlos gegenüber und grübelten. Krämer vermochte es nicht länger zu ertragen. Nach einem Ausweg suchend, stapfte er auf und ab.
Er hörte nur halb auf Höfel, der ihn bedrängte.
»Es dauert nicht mehr lange, Walter, bestimmt nicht. Jeden Tag kann der Amerikaner hier sein. Walter! Die paar Tage halten wir durch. Warum soll ich noch mit Bochow sprechen und ihn unruhig machen? Das Kind kriegen wir doch nicht mehr aus dem Lager. Du sagst
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