Nackt unter Wölfen
es selbst. Also was dann? Lass es unter uns bleiben. Keiner weiß es. Nur du und ich, und sonst aus.«
»Und Zweiling?«
»Der kuscht.« {rief Höfel voll Eifer.}
Krämer lachte in bitterem Hohn. Die Situation drängte zum Handeln, gleich, ob Bochow verständigt wurde oder nicht. {Was konnte dieser schließlich tun? Er konnte fluchen und auf Höfel schimpfen, aber damit kam das Kind nicht aus dem Lager. Blieb es nicht an ihm, dem Lagerältesten, hängen, Höfel aus der Gefahr zu ziehen, in die ihn sein Fehler gebracht hatte? Krämer hatte es längst. Er ahnte, dass es am besten war, Bochow gar nicht erst in die neue Lage einzuweihen.} Den Auftrag, der ihm durch Bochow gegeben worden war, hatte er nicht korrekt durchgeführt. Seine Pflicht wäre es gewesen, Höfel zu kontrollieren, aber er hatte es diesem überlassen, und nun …? »Verdammter Mist«, knurrte Krämer, wütend über sich und alles, und stapfte, wie getrieben, umher. Da es ihm widerstrebte, Höfel Zugeständnisse zu machen, bellte er ihn ärgerlich an:
»Und wenn wir Bochow nichts davon sagen? Was dann? Was dann?«
Das war halbe Zustimmung! Höfel hob erfreut die Hände, als wolle er sie Krämer auf die Schulter legen. Der entzog sich ihm und schnauzte: »Das Kind muss raus aus der Kammer, weg von dir!«
»Wohin?«, fragte Höfel.
»Ja, wohin? Siehst du, was du angerichtet hast? Wohin stecken wir nun das Kind? Es muss weg von dir und dem verfluchten Zweiling an eine Stelle, wohin keine SS kommt.«
Es gab dafür nur einen Ort, die Seuchenbaracke im Kleinen Lager. Um diese machte jeder SS-Mann einen scheuen Bogen, aus Furcht, sich mit Typhus oder Fleckfieber anzustecken.
Krämer blieb vor Höfel stehen und sah ihn hart an.
»Block 61!«, sagte er knapp.
Höfel erschrak. »In die Seuchenbaracke? Ausgeschlossen!«
»{Quatsch!«, schnitt Krämer Höfels Widerspruch energisch ab.} »Das Kind kommt nach 61! {Aus! Punkt! Schluss!}« Krämerredete sich selbst in die Richtigkeit seines Entschlusses hinein.
»Die polnischen Pfleger hausen monatelang in der Baracke und haben sich noch nichts geholt. Die sind auf Draht. Über das Kind halten sie alle Hände, verlass dich drauf. Ist doch ihr Kind, ein polnisches. – Oder soll ich es vielleicht bei mir im Papierkorb verstecken? Hm?«
Höfel schwieg, biss die Lippen aufeinander. Krämer polterte:
»Es gibt nichts anderes, basta. Genug, dass du mich mit hineingezerrt hast! {Immer noch besser als Bergen-Belsen.} Also keine Geschichten! Das Kind kommt nach 61! {Ich spreche mit dem polnischen Blockältesten und werde dafür sorgen, dass das Wurm gut untergebracht wird.}«
Höfel stierte vor sich hin. Immer noch besser als {Bergen-Belsen}.
Er schaute auf. »Und Bochow?«
Krämer wurde ungehalten.
»Ich denke, das ist unsere Sache? Hast du es nicht selber gesagt?«
Höfel nickte wortlos, er hatte nicht die Kraft, froh zu sein.
Zweiling wohnte abseits vom Lager in einer hübschen, von Häftlingen erbauten Siedlung für die SS. Seit zwei Jahren war er verheiratet und hatte in der 25-jährigen Hortense eine Frau, um die er im Geheimen von so manchem Scharführer aus der Siedlung beneidet wurde. Vollbrüstig war die Frau und von strotzender Gesundheit. Doch die Ehe war aus vielerlei Gründen nicht in Ordnung. Die schicke Uniform hatte Hortense ehedem mächtig imponiert, doch konnte dieser Umstand im Laufe der kurzen Ehe nicht darüber hinwegtäuschen, dass unter der schneidigen Dekoration ein öder und willensschlapper Kerl steckte. Hortense hatte oftschon heimliche Vergleiche angestellt zwischen ihrem Mann und dem straffen Hauptsturmführer Kluttig, der zwar nicht ansehnlich, dafür aber männlich war. Als Ergebnis dieser Vergleiche blieben nur Verachtung und Geringschätzung für Zweiling übrig. Die Ehe wurde immer langweiliger und lustloser, und die beiden hatten sich kaum noch etwas zu sagen. Doch das war nicht die größte Enttäuschung für die Frau. Hortense bekam keine Kinder. Auch der Arzt konnte nicht helfen, innere Verwachsungen verhinderten die Konzeption. Die Frau hatte sich damit nicht abfinden können, und sie schob heimlich die Schuld auf ihren engbrüstigen Mann, der mit seinem untrainierten Körper und seiner käsigen Haut so unvorteilhaft von ihr abstach. Hortenses Gefühlsleben hatte sich verhärtet, und oft hatte sie den Mann im Bett von sich gewiesen mit einem unwirschen: »Ach, lass mich.«
Manchmal aber tat er ihr leid, und wenn sie es ihm dann lustlos gestattet hatte, war er
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