Nackt unter Wölfen
Der ist unser Übungskarabiner geworden. An ihm zeigte ich den Genossen, wie man ladet und wie man das Schloss bedient und wie man es auseinandernimmt.«
Höfel brach ab. Er hatte genug gesagt von dem, was die Angst aus ihm herausgetrieben …
Jetzt war er froh, neben sich einen zu haben, der es nun auch wusste und mit dem er sich verbunden fühlte.
Kropinski hatte atemlos zugehört. Er wollte so gern etwas sagen, doch war er zu überwältigt. »Dobrze«, flüsterte er nur immer wieder, »dobrze, dobrze.«
Die Erzählungen hatten Höfel etwas gefestigt. Er wusste von sich, dass er im Grunde nicht feig war und den Willen hatte, durchzuhalten. Die entsetzliche Angst kam von den Nerven. Er brauchte nur daran zu denken, dass sie wiederkommen und ihn noch einmal hängen würden, sofort schauerte er zusammen. Die Muskeln zitterten, und die Angst überflutete ihn. Er bebte vor dem entsetzlichen Moment zurück, da die Brücke zwischen Kraft und Willen zerreißen wollte, darum suchte er jetzt Halt bei Kropinski, und es war fast eine flehentliche Bitte um diesen Halt, als er nach einer Weile zu Kropinski sagte: »Siehst du, darum wollen sie die Namen wissen.«
»Aber du wirst nicht verraten?«
»Verraten, verraten, ich
will
nicht verraten! Sie hängen mich wieder, und ich halte es nicht mehr aus!« Kropinski verstand es, er wollte helfen und hatte nichts als seine Solidarität.»Ich auch werde hängen, und ich nun alles wissen, wie du. Wir sind arme kleine Menschen und ganz allein, und keiner uns beschützen. Aber wir werden nichts sagen, kein Wort. Nicht wahr, André, wir werden nichts sagen, kein Wort. Wir werden schreien, immer schreien, wenn sie wissen wollen die Namen. Das ist besser, als wenn wir sagen …«
Kropinskis einfache Worte erwiderte Höfel mit einem innigen Gefühl des Dankes. »Ja, du! – Du hast recht. Wir schreien eben, nicht wahr, dann können wir nichts verraten.« So halfen sie sich und benutzten die Schwäche als Kraft, stärkten die Pfeiler der Brücke, damit sie unter den bald wieder über sie hereinbrechenden Fluten nicht zusammenstürzen würde.
Die Stunden des Vormittags gingen Krämer in quälender Ungewissheit dahin. Schon einmal war Bochow bei ihm gewesen, aber er hatte nichts melden können und wusste nicht, ob es Schüpp gelingen würde, in den Bunker einzudringen. Es gehörte zu seiner Funktion als Lagerältester, dass er oft zum Tor gerufen wurde. Das war für ihn niemals ein angenehmer Gang. Heute hatte ihn Reineboth schon zweimal zu sich beordert. Wieder knackte es im Lautsprecher, und Reineboths lässiger Jargon quakte in Krämers Raum. »Der Lagerälteste sofort zum Tor, aber dalli!«
Krämer zog den Mantel über, stülpte sich die Mütze auf. Verflucht, was will der Kerl schon wieder?
Krämer rannte über den Appellplatz zum Tor hinauf wie über dünnes Eis. Wie lange wird es noch halten? Hat Höfel inzwischen Aussagen gemacht? Um seine Person fürchtete Krämer niemals, mochte mit ihm auch geschehen, was wollte. Er wusste von sich, dass ihn nie, auch in der gefährlichsten Situation nicht, die Schwäche niederwerfen würde. Sein Puls ging um keinen Schlag schneller. Die Fähigkeit, alles in sich zu verschließen, machte ihm den Kopf frei, undKrämer blieb bei aller inneren Leidenschaftlichkeit kühl und sich selbst und dem Gegner überlegen.
So stand er auch jetzt vor Reineboth. Der setzte sich mit schlenkerndem Bein auf die Tischkante, bot Krämer sogar eine Zigarette an.
»Ich bin Nichtraucher.«
»Richtig, unser Lagerältester raucht ja nicht. – Ein seltsamer Lagerältester …« In Krämers Gesicht bewegte sich nichts, was Reineboth hätte zeigen können, ob der Scherz angekommen war. Während sich Reineboth eine Zigarette anzündete, entschied er sich, gerade aufs Ziel loszugehen.
»Über Höfel wissen Sie wohl Bescheid?«
»Jawohl, Rapportführer, zwei Mann von der Effektenkammer wegen eines versteckten Kindes im Arrest.«
»Sie sind gut unterrichtet.«
»Das muss ich als Lagerältester sein.«
»Dann wissen Sie wohl auch, was in dieser Nacht im Bunker passiert ist?«
»Nein.«
»Nicht?«
»Nein.«
»Höfel ist tot.«
Reineboth machte die Augen schmal, als blicke er über den Lauf eines Revolvers, doch er entdeckte nichts. Weder in Krämers Augen noch in dessen Zügen. Hinter Krämers Stirn konnte Reineboth nicht sehen. Dort stand ein Gedanke als Gewissheit: Du lügst! – Reineboth verlor durch Krämers Sicherheit den Boden, er wandte sich ab und
Weitere Kostenlose Bücher