Nackt unter Wölfen
erst wusste Krämer, wie aufgerissen er gewesen war seit Höfels Verhaftung. Er hatte ihn geliebt, rau. Er hatte ihn verflucht, und nun liebte er ihn wieder.
Eine Frage des Elektrikers machte ihn wach. »Ist Höfel in der Leitung?« Als hätte ihn die Frage selbst erschreckt, fügte Schüpp schnell hinzu: »Du brauchst mir nicht zu antworten.«
Krämer hob den Blick und sah Schüpp wortlos an. Schüpp erkannte darin die Antwort, er fragte nicht weiter, ihm genügte das wenige. Sie saßen sich gegenüber, jeder von seinen eigenen Gedanken umgeben. In Krämer löste sich die letzte Starre und wandelte sich zu einem starken, brüderlichen Gefühl für Höfel.
»Nun gehen sie uns wegen dieser dummen Geschichte mit dem Kind noch vor die Hunde …« Er starrte gedankenvoll vor sich hin.
»Man muss was riskieren«, sagte Schüpp, »sie aus dem Bunker rausholen.« Krämer lachte ungläubig. »Wie willst du das anstellen?«
»Mit Zweiling!« Schüpps rasche Antwort war keine Augenblicksidee. Krämer winkte ab. »Der Hund hat sie doch erst hineingebracht …«
»Weiß ich«, nickte Schüpp, »Pippig hat es mir erzählt. Gerade darum sollten wir es probieren. Bei der Sonderkompanie hat es doch auch geklappt.«
Krämer blieb unüberzeugt.
»Das war etwas anderes.« –
Vor Jahren war eine Anzahl politischer Häftlinge durch eine großangelegte Zinkerei krimineller Elemente in eine Sonderkompanie gesteckt und durch die Solidarität ihrer Kameraden des Lagers wieder daraus befreit worden. Schüpp ließ sich durch Krämers Einwand nicht von seinem Gedanken abbringen, er rutschte eifrig auf die Stuhlkante vor.
»Zweiling will sich hüben und drüben ein Loch offenhalten und bei keinem anecken. Das sollten wir ausnützen. Pippig muss ihn rumkriegen. Soll ich mal mit ihm reden?«
Für einen Augenblick war Widerwillen in Krämer. Nicht,weil er sich sträubte, die SS zu benutzen, um bedrohten Gefährten zu helfen, das hatte man seinerzeit bei der Sonderkompanie auch getan. Damals hatte der Machtkampf zwischen den Kriminellen und den Politischen die Kameraden in Gefahr gebracht. Diesmal aber war es ein SS-Mann, der Höfel und Kropinski mit der Vernichtung bedrohte.
Ausgerechnet dieser Zinker sollte … Welch skurriler Gedanke. Und dennoch, Krämer bohrte sich in ihn hinein. Zwischen dem Kommandanten und Kluttig bestand eine ewige Gegnerschaft. Kluttig hielt es mit den Ganoven des Lagers, der Kommandant ließ nichts auf die Politischen kommen. Gelänge es, Zweiling auf den Kommandanten zu hetzen … Krämer traute Pippig diese Wendigkeit schon zu. Schüpps runde Augen hingen sehnsüchtig an Krämer. Der brummte und wischte mit der Handkante über die Tischplatte hinweg, mochte nicht ja, nicht nein sagen.
»Aber packt mir die Sache vorsichtig an«, meinte er schließlich.
Seit Schüpp mit ihm gesprochen hatte, war Pippig die Möglichkeit, über Zweiling den Freunden zu helfen, bewusst geworden. Er spannte auf eine Gelegenheit, mit Zweiling ins Gespräch zu kommen. Die ergab sich bald.
»Haben Sie über den Zinker noch nichts rausgekriegt?«, fragte er Pippig, der ihm eine Liste ins Zimmer brachte.
»Nein, Hauptscharführer, wir werden ihn wohl auch nicht rauskriegen.«
»Warum nicht?« Zweiling schob die Zunge auf die Unterlippe.
Pippig war aus anderem Holz geschnitten als der warmherzige Höfel und ging kühn auf sein Ziel zu. Wie ein Seiltänzer vorsichtig und dennoch sicher seinen Fuß aufsetzend, so setzte Pippig seine Worte auf den messerscharfen Grad der Zweideutigkeit.
»Der Lump hat sich viel zu gut getarnt.« Hintergründig fügte er hinzu: »Aber wir wissen jetzt, warum er das gemacht hat.«
»Da bin ich aber neugierig.«
»Der Kerl hielt sich nämlich für besonders gescheit und glaubte, sich beim Lagerführer einen Schinken in Salz legen zu können.«
»Warum denn?«, fragte Zweiling lauernd. Pippig zögerte mit der Antwort.
Er überlegte blitzschnell, und blitzschnell auch folgte die Entscheidung, nun war er auf dem Seil, und es hieß darüberzukommen.
»Da braucht man gar nicht viel zu fragen, Hauptscharführer, da braucht man bloß auf die Frontkarte zu gucken.«
Unwillkürlich drehte sich Zweiling nach der Wand um, an der die Karte hing. Gespannt verfolgte Pippig die Bewegungen, und als Zweiling ihn wieder ansah, hatte Pippig ein vielsagendes Lächeln um den Mund. Zweiling wurde unsicher. Galt das ihm? – Auch er lief wie auf einem Seil. Er entschloss sich, das Versteckspiel mitzumachen.
»Sie
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