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Nackt unter Wölfen

Nackt unter Wölfen

Titel: Nackt unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Apitz
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wurden, die in keinem Zusammenhang zum Kind standen. – Die Kälte der Zementwand drang Höfel durch die durchnässte Jacke. Die Arme, vom Hängen gelähmt, hingen leblos herab.Kropinski fragte nicht mehr. Er war mit seiner eigenen Not beschäftigt. Auch ihm fraß sich die Kälte immer tiefer in den Körper. Die Dunkelheit in ihrem Zellenkasten war ein schwarzer, abgestorbener Klumpen Nacht, herausgeschnitten aus dem Leib der draußen atmenden Natur. Nun besaßen sie nichts mehr als ihr eigenes Herz, das so sonderbar lebendig pochte, wie eine emsige Uhr.
    Höfels Gedanken kamen vor dem Block der Schuld nicht weiter. Sie verirrten sich in dem Geröll seines geborstenen Ichs, stolpernd einen Weg sich suchend in dem weglosen Gewirr. Seine Nerven glichen glühenden Drähten, und in ihm schrie es, als würde er noch immer hängen. Um der Angst zu entfliehen, flüsterte er hastig und getrieben: »Sie kommen wieder! Du! – Sie kommen wieder! – Wir werden noch mal aufgehängt! … Du, das halte ich nicht noch einmal aus! – Ich …« Höfel presste den Kehlkopf zu. Die Worte, {auf dem hastigen Fluss des Atems nach außen gestoßen,} stauten sich. Höfel lauschte neben sich. Dort blieb es still. Kropinski sagte nichts. Die Verzweiflung wurde Höfel {zum Abgrund}. Der da neben ihm stand, hatte die gleiche Angst wie er selbst und warf ihm kein helfendes Wort zu, an das Höfel sich im Strudel der Auflösung hätte klammern können.
    »Feig bin ich«, flüsterte er völlig vernichtet, mochte nun auch der letzte Rest in ihm zerbrechen. Er konnte nicht sehen, dass Kropinski mit energischem Kopfschütteln abwehrte, saugte aber gierig das Geflüster neben sich auf. »Du haben nur Angst. – Ich haben auch Angst«, flüsterte Kropinski brüderlich. »Wir sind nur arme kleine Menschen, arme, kleine, wie kleines Kind.« Sein schlichtes Wesen schenkte ihm keine stärkeren Worte. Plötzlich wurde Höfels Atem heiß. Tonlos schrie er auf:
    »Es geht doch gar nicht mehr um das Kind! – Es geht um anderes!« Er stöhnte. »Wenn sie wiederkommen! – Ich kann nicht noch einmal hängen, ich kann nicht! O mein Gott! –Du weißt doch gar nicht, Marian, du weißt doch gar nicht …« {Um was ging es nur? Kropinski fragte ahnend: »Die Namen …?«
    »Ach, die Namen! Die stimmen doch alle gar nicht! – Aber das andere, das andere …«}
    Im Drang zu helfen flüsterte Kropinski: »Was nur ist? – Du müssen es mir sagen.«
    Höfel trieb es, darüber zu sprechen, um sich vor Kropinski von der Schuld zu entlasten, dennoch war ein Widerstand in ihm, das tief zu Bewahrende aufzudecken. Doch der da neben ihm stand, war ja sein Todeskamerad und würde es mit hinübernehmen. – Dieser Gedanke gab den Ausschlag, und Höfel begann zu erzählen, erst stockend, Fetzen um Fetzen von seinem Geheimnis abreißend. »Sie wollen wissen, wer die Genossen im Apparat sind … Wir haben nämlich einen Apparat … Davon weiß das Lager nichts. Keiner weiß etwas …« Er berichtete von seiner Tätigkeit als militärischer Ausbilder. »Weißt du, wir sitzen abends unter einer Baracke im Revier, unter der Erde, verstehst du? … Ich zeige ihnen, wie man eine Pistole anschlägt und wie man zielt …« Er berichtete, wie sowjetische Genossen heimlich Waffen ins Lager geschmuggelt hatten, und als Kropinski fragte, ob es auch polnische Kameraden in den Gruppen gäbe, bejahte Höfel und schilderte die mutige Tat des Joseph Lewandowski. »Das war vor dem Bombenangriff aufs Lager gewesen, damals standen die Gustloffwerke noch, und in der großen Halle wurden Karabiner hergestellt. Wir wollten einen davon ins Lager bringen. Das hat der Lewandowski gemacht … Wir haben einen Tag abgewartet, an dem der schiefe Blockführer vom Block 19 Tordienst hatte, der kann nämlich kein Blut sehen, und an diesem Tag hat Lewandowski getan, als ob ihm übel wurde, und ist an der Maschine umgefallen, und da hat er …« Höfel schluckte, »da hat er absichtlich den Arm in den Support gehalten. – Der ganze Unterarm ist ihm dabei aufgerissen worden.Er hat schrecklich geblutet, und wir haben ihn auf die Bahre gelegt, und unter Lewandowski lag der Karabiner … Das Blut hat nur so getropft, aber Lewandowski war ganz still, als wir zum Tor kamen, und hat sich nicht gerührt. {Der schiefe Blockführer hat einen Heidenschreck gekriegt und nach nichts gefragt. Und da haben wir} Lewandowski schnell durchs Tor getragen. – Den Karabiner haben wir nachher am Lauf und am Kolben abgeschnitten.

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