Nackt unter Wölfen
meinen, der Zinker will sich ein Loch aufmachen, wenn’s mal andersrum geht? …«
»Na klar«, antwortete Pippig trocken. Das Gespräch verklemmte sich. Jetzt musste Pippig in die beabsichtigte Richtung vorstoßen. »Wenn’s mal andersrum geht«, wiederholte er Zweilings Worte und machte mit den Händen eine bezeichnende Geste des Wendens. »Aber
wie
rum? – Das weiß keiner …«
Zweiling lehnte sich zurück und entgegnete leer und belanglos: »Na, so schlimm wird es nicht werden.«
In Pippig knisterte die Spannung, er war verstanden worden. Noch einen Schritt weiter wagte er sich nach vorn.
»Das hängt von Ihnen ab, Hauptscharführer.« Zweiling schob die Zunge wieder auf die Unterlippe, in ihm war nichtweniger Spannung. Er antwortete nicht, so dass Pippig fortfahren musste.
»Wir würden gern sagen: Hauptscharführer Zweiling ist ein feiner Kerl, er hat uns Höfel und Kropinski aus dem Bunker geholt …«
In Zweiling schlug eine heiße Welle hoch, das war ein offenes Angebot. Blitzschnell rollten in ihm die Reaktionen ab. Noch schützte ihn die Kluft zwischen ihm und den Häftlingen. Eines Tages konnte sie zusammenstürzen, dann hatten sie ihn an der Gurgel: Du hast Höfel und Kropinski auf dem Gewissen! – Auch für die SS gab es das unerbittliche Entweder-oder. Für die Häftlinge Freiheit oder Tod, für die SS Kampf bis zum letzten Mann oder Flucht ins Ungewisse. Zweiling hatte keine Lust, bis zum letzten Mann mitzukämpfen. Das Angebot lockte.
»Wie soll ich denn das machen?«, fragte er unsicher.
Triumph! Jetzt war Pippig über das Seil hinweg und hatte wieder festen Boden unter den Füßen.
»Ihnen kann es doch nicht schwerfallen, mal mit dem Kommandanten zu reden, Sie wissen doch, was der für große Stücke auf die Politischen hält.« Zweiling stand brüsk auf und trat rasch zum Fenster. In ihm arbeitete es. Sollte er Pippig rausschmeißen oder zusagen? – Unklar und verwaschen tat er beides, drehte sich zu Pippig herum und sagte grob: »Scheren Sie sich hinaus!«
Als Pippig sich abkehrte, fuhr er ihn an: »Und halten Sie da draußen die Schnauze, verstanden?«
Und ob Pippig verstanden hatte! Treuherzig erwiderte er:
»Aber Herr Hauptscharführer, darüber redet man doch nicht …«
In Zweiling war grenzenlose Wut! Er setzte sich an den Schreibtisch. Sein Blick wischte über die Landkarte hinweg.
Noch vor wenigen Tagen hatte er die Pfeile bis Mainz ziehen müssen, jetzt rückten sie bereits bis Frankfurt vor …
Oben, im Norden der Westfront, zeigten die Pfeile auf Duisburg. Wie lange würde es noch dauern, und er musste die Pfeile nach Kassel richten? Dann ging es von Westfalen und Hessen nach Thüringen hinein …
Die hohle Wut, sich Pippig ausgeliefert zu haben, ging über in fressende Angst … Du hast Höfel und Kropinski auf dem Gewissen … Wie sicher sich die Kerle bereits fühlten … {Mit dem Kommandanten reden? – Wie die sich das vorstellen?}
Um die Mittagszeit kam Bochow zu Krämer.
»Neues?«
»Nichts Neues.«
Bochow kniff die Lippen zusammen. Die Unruhe war ihm vom Gesicht abzulesen.
»Ist was passiert?«, fragte Krämer. Bochow gab keine Antwort. Er schob die Mütze aus der Stirn, machte eine Bewegung, als wolle er sich auf den Stuhl setzen, und unterließ es. Der Entschluss, über Krämer die Sicherung des Waffenverstecks einem Außenstehenden anzuvertrauen, fiel ihm unendlich schwer. Zum ersten Male ging ein Geheimnis über den Kreis der Eingeweihten hinaus. Krämer sah Bochows Kampf.
»Na, rede schon!«
Bochow ächzte. »Ach, Mensch, Walter, so ein Leben, so ein Leben … manchmal möchte ich den Kerl da oben verfluchen.« Er meinte Höfel.
»Nicht doch«, verwies ihn Krämer, gleichzeitig tröstend. »Ist doch unser Kumpel. Hat Mist gemacht, natürlich, aber verfluchen? Mann! Behalte die Nerven beisammen.«
Krämers raue Herzlichkeit tat Bochow wohl.
»Jaja, hast recht, hast recht. – Also da ist noch eine Sache, sie muss geregelt werden, schnell.« Krämer überraschte es nicht, von Bochow zu erfahren, dass eines der Waffenverstecke die Effektenkammer war, und es gab für ihn auch nur einen, dem man es anvertrauen konnte – Pippig!
»Das mache ich schon, lass nur«, beruhigte ihn Krämer. Bochow nannte ihm die Nummer der Säcke und den Platz, an dem sie hingen, und stöhnte: »Das Schlimmste an der Sache ist, dass man beiseitestehen muss und gar nichts unternehmen kann …«
Krämer schob die Unterlippe vor. »Warum soll man nichts machen
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