Nackt unter Wölfen
Zittern seiner Stimme. Hortense nickte in Angst und Gehorsam. Sie raffte den Mantel über der Brust zusammen und wandte sich zum Gehen. Kluttig hielt sie schroff an den Armen fest. In der Meinung, dass er ihr noch etwas Wichtiges sagen wolle, sah Hortense ihn fragend an, aus seinen Zügen aber las sie nur die nackte Begehrlichkeit.
»Lassen Sie ihn laufen«, keuchte Kluttig. »Ihre Sachen nehme ich mit«, versprach er ihr. Hortense hatte nur den Wunsch, schnell von hier fortzukommen. Die Sinnlichkeit des Mannes, auf die sie eben noch spekuliert hatte, ekelte sie plötzlich an.
Kluttig warf sich in einen Stuhl, nachdem Hortense gegangen war, wischte sich übers Gesicht und atmete schwer. Die Erregung saß ihm noch zitternd im Hals.
Zur gleichen Stunde, da Hortense bei Kluttig war, befand sich Zweiling in Reineboths Dienstzimmer. Den Weg zum Kommandanten hatte er nicht gewagt. Reineboth schien bester Laune zu sein. »Na, mein Lieber«, hatte er Zweiling empfangen, »da hast du aber Pech gehabt mit deinem Kapo.« Er hatte dabei süffisant gelächelt. Zweiling sah es als günstiges Zeichen und machte einen behutsamen Versuch, für Höfel ein »gutes Wort« einzulegen. Reineboth zog bedauernd den Kopf ein.
»Das ist eine dumme Geschichte. Es geht leider nicht nur um Höfel, sondern auch um dich.« Zweiling horchte auf. »Was habe ich damit zu tun?« Er schluckte einen Knödel hinunter. Reineboth sah es mit stillem Vergnügen.
»Das frage ich mich auch«, entgegnete er scheinheilig und zog aus dem Rapportbuch Zweilings Zettel.
»Ich kann es noch gar nicht glauben …« In Zweiling wühlte es bereits, er hatte den Zettel sofort erkannt. Reineboth seufzte teilnahmsvoll, es bereitete ihm Vergnügen, Zweiling auf die Folter zu spannen.
»Wir haben Höfel und den Polen, den Dingsda, nur ein bisschen gestreichelt, und da …« Reineboth kniff ein Auge zusammen und gab dem unvollständigen Satz eine bestimmte Aussage.
»Kurz, die beiden wälzen alle Schuld auf dich ab.«
Zweiling wollte hochschnellen, doch um sich nicht zu verraten, verwandelte er den Ruck des Erschreckens in ein belangloses Abwinken mit der Hand.
»Das ist doch nur ein Racheakt.«
Reineboth lehnte sich im Stuhl zurück und stützte die gestreckten Arme an die Tischkante.
»Das habe ich mir auch schon gesagt.«
Er ließ eine kleine Pause verstreichen, auffällig mit dem Zettel spielend. Zweiling machte einen schwachen Versuch, sich zu rechtfertigen.
»Du glaubst doch nicht etwa, dass ich …«
»Ich glaube gar nichts«, schnitt ihm Reineboth das Wort ab. »Die Chose ist nicht ganz astrein. Es gibt da einige Kleinigkeiten. Den Zettel zum Beispiel …«
Reineboth warf Zweiling das Papier lässig zu. Der versuchte zu staunen, als er sich den Zettel besah, doch Reineboth gewahrte das Gespielte. Er wurde seiner Sache immer sicherer.
»Den hat keiner aus deinem Kommando geschrieben.«
Zweiling wurde es immer schwüler zumute.
»Woher weißt du das?«, wagte er zu fragen. Reineboth steckte ein komplicenhaftes Lächeln auf und nahm den Zettel an sich, faltete ihn zusammen und schob ihn in die Tasche, Zweiling mit der Umständlichkeit der Hantierung quälend. Dem fehlte die Gewandtheit, mit einer Entgegnung zu parieren, und darum wurde das Schweigen zur Vernehmung und zum Geständnis zugleich.
Reineboth wusste nun genug. Er lehnte sich im Genuss des Erreichten wieder im Stuhl zurück, steckte den Daumen hinter die Knopfleiste und trommelte mit den Fingern.
»Tja, mein Lieber …«
Zweiling war aschfahl geworden. Einem Ertrinkenden gleich, versuchte er sich an der Oberfläche zu halten.
»Wer will beweisen, dass ich …«
Schnell beugte sich Reineboth vor.
»Wie willst
du
beweisen, dass du
nicht
?«
Ihre Blicke flatterten ineinander. Unvermittelt machte Reineboth wieder sein freundliches Gesicht.
»Ich bin überzeugt, dass du mit der ganzen Chose nichts zu tun hast.« Das war eine glatte Irreführung, und Zweiling sollte sie auch so verstehen.
»Vorläufig wissen nur Kluttig und ich das Nähere.« Er lächelte drohend und hob den Finger. »Vorläufig! – Man könnte auch sagen: Hauptscharführer Zweiling hat sich indie Geschichte mit dem Judenbalg eingelassen, um der illegalen Organisation auf die Spur zu kommen …, ja, man könnte sogar sagen, Hauptscharführer Zweiling hat im geheimen Auftrag gehandelt …«
Reineboth rieb sich mit dem Zeigefinger am Kinn. »Das könnte man alles sagen …«
Hier fand Zweiling die Sprache
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