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Nackt

Nackt

Titel: Nackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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‹Oma›, haben sie gesagt, ‹warum hat der Mann denn gar nichts an?› Und ich hab ihnen gesagt: ‹Der Mann ist ein ganz besonders guter Freund von eurer Oma, und er ist nackt, weil Gott ihn so auf die Welt gebracht hat. Hier darf man nackt sein, aber erzählt das ja nicht euren Freunden in der Schule und schon gar nicht eurer Mutter und eurem Vater.›» Sie blickte stirnrunzelnd auf ihre Brüste. «Ich hätte wissen müssen, dass sie kein Geheimnis für sich behalten können. Meine Tochter ist genau wie alle anderen. Sie glaubt, wir wären eine sexbesessene Meute, die auf dem Parkplatz wüste Orgien feiert. Und meinen Sohn kann man sowieso vergessen. Dem sage ich nur, dass ich im Sommer zum Camping fahre.»
    Ich fand, ich musste ihr mein Mitgefühl aussprechen, wusste aber überhaupt nicht, wo ich anfangen sollte. Stattdessen bat ich sie, mir die Regelung mit dem Körper- und Intimschmuck zu erklären.
    «Kleidungstechnisch meinen sie damit Lederriemen und Negligés, alles, was auffällig oder suggestiv sein könnte. Und was den Schmuck betrifft, da sind Ringe und Halsketten und so weiter schon in Ordnung, da wollen sie nur nicht … Gott, wie soll ich das ausdrücken … Da wollen sie eben nicht, dass … Also, wenn man Ohrringe hat, dann sollten die in den Ohren stecken, verstehst du? Es verstößt gegen die Hausordnung, sich die … äh … Dingelchen piercen zu lassen, sowohl oben als auch da … unten.»
    Ich fand es merkwürdig, dass ihr das Thema solches Unbehagen bereitete. Südlich ihrer rasierten Vagina sammelte sich der Schweiß, und diese Großmutter konnte nackt neben einem wildfremden Mann sitzen, aber ums Verrecken nicht die Wörter Brüste oder Penis aussprechen. Wir alle hatten einfach «Dingelchen» und meins siedete in meinem Schoß wie eine gekochte Garnele. Dadurch wurde die Anzahl der Gesprächsthemen drastisch reduziert. Die Abwesenheit von Kleidung erschwerte die Beschreibung von Personen. Man konnte nicht fragen: «Wer ist der unbeschnittene Herr mit dem behaarten Arsch?» Noch schwerer wurde es dadurch, dass fast alle Männer kahl waren, sodass man sie nicht einmal anhand einer Frisur beschreiben konnte. Ich befragte Jacki nach einem Mann, den ich beim voll beschickten Fischteich gesehen hatte: «Das war ein eher großgewachsener Mann mit einem … freundlichen Gesicht und einem blauen Handtuch.»
    «Weiter», sagte sie. «Viele Männer haben blaue Handtücher.»
    «Er hatte weder Schnurrbart, noch Mütze, noch überhaupt Haar. Er war so etwa in den Siebzigern.»
    «Große Narbe quer überm Bauch und noch eine lange am Bein? Ach, das ist Dan Champion von Parzelle 16. Netter Mann, war früher ein großer Tänzer.»
    Erleichtert nahm ich zur Kenntnis, dass es gesellschaftlich akzeptabel war, Menschen anhand ihrer Narben zu beschreiben. Das war viel leichter als die Identifkation qua Sandalen.
    Alle paar Minuten beugte Jacki sich vor, um einen weitern Strahl Wasser mit Eukalyptusgeschmack auf den Kessel abzuschießen, und ich war zu schwach, um ihr Einhalt zu gebieten. Durch meinen Schweiß sah ich nur noch verschwommen, und der Raum war so unerträglich heiß geworden, dass ich praktisch hören konnte, wie das Blut in meinen Adern Bläschen machte. Mir fiel ein, dass ich sterben würde – nicht zu irgendeinem fortgeschrittenen, hypothetischen Zeitpunkt in meinem Leben, sondern jetzt sofort. Mein Herz war gedünstet, und ich hatte so viele Liter Schweiß abgesondert, dass mein Handtuch jetzt mehr wog als ich.
    «Hinaus mit dir», sagte Jacki. «Los jetzt, schnell. Zisch ab.» Ich verließ die Sauna, breitete mein Handtuch aus und legte mich auf den Zementboden neben dem Swimmingpool. Es war ein klarer Abend, kühl, aber die Luft fühlte sich gut an. Ich hörte, wie eine Tür geknallt wurde, und sah Jacki, die zum Klubhaus zurückwatschelte. Sie sah mich nicht, und ich sah keinen Sinn darin, sie zu rufen. Ich kam allein zurecht, lag fein nackt auf dem Boden und dachte über alles nach. Von weither kam ein jammervoller, muhender Laut, den ich nicht genau identifzieren konnte. Weder ganz natürlich, noch von Menschenhand gemacht, klang es wie eine Kombination aus kranker Kuh und Nebelhorn. Ich hatte es gestern Abend etwa um die gleiche Zeit gehört und es war höchstwahrscheinlich der ortsübliche Zapfenstreich.
    Wegen des schönen Wetters war die Plane vom Schwimmbecken entfernt worden, welches von gemütlichen Liegestühlen umgeben ist, von denen einige unter einem Schild mit der

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