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Nackt

Nackt

Titel: Nackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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ich in den Keller, kroch unter einen Tisch und bedeckte meinen Kopf mit einer Decke. Die Menschen, die sich das Gewitter von der Veranda aus ansahen, waren Narren. «Der Blitz kann von einem Ehering oder sogar von einer Zahnfüllung anzogen werden», sagte mein Vater. «Der Tag, an dem man in seiner Wachsamkeit nachlässt, ist der Tag, an dem er zuschlagen wird.»
    Auf der Mittelschule belegte ich Werken und unsere erste Aufgabe war die Anfertigung eines Serviettenhalters. «Du wirst doch nicht mit einer Bandsäge arbeiten?», fragte mein Vater. «Ich kannte mal einen Typ, einen Jungen von deiner Größe, der benutzte eine Bandsäge, als das Sägeblatt abging, aus der Maschine rausflog und sein Gesicht sauber in zwei Hälften zerschnitt.» Mit dem Zeigefinger zog mein Vater eine imaginäre Linie von der Stirn bis zum Kinn. «Der Typ hat überlebt, aber niemand wollte mehr etwas mit ihm zu tun haben. Er wurde Alkoholiker und hat eine Chinesin geheiratet, die er sich aus einem Katalog bestellt hat. Denk mal darüber nach.» Das tat ich.
    Mein Serviettenhalter wurde aus gefundenen Brettern hergestellt, und als er fertig war, brachte er fast sieben Pfund auf die Waage. Meine Bücherregale waren noch schlimmer. «Das Problem mit einem Hammer», wurde mir gesagt, «besteht darin, dass der Hammerkopf jederzeit abgehen kann, und, Junge, eins kann ich dir sagen, den Schmerz kannst du dir gar nicht vorstellen.»
    Bald begann ich mich zu fragen, ob mein Vater noch Leute kannte, die sich die Schuhe selbst zubinden oder ohne die Hilfe einer eisernen Lunge atmen konnten. Mit Ausnahme des Schuhverkäufers hatten wir keinen dieser Menschen je gesehen, hatten nur von ihnen gehört, sobald einer von uns ein Huhn in schwimmendem Fett herausbacken oder den Müllschlucker betätigen wollte. «Ich habe einen Freund, der kauft sich immer ein Paar Handschuhe, und den einen Handschuh schmeißt er gleich weg. Er hat seine rechte Hand verloren, als er genau das tat, was du gerade tust. Er hatte gerade in die Müllschluckeröffnung gefasst, als die Katze sich am Schalter rieb. Jetzt trägt er Vorsteckschlipse und die Kellner müssen ihm das Steak kleinschneiden. Schwebt dir diese Art zu leben vor?»
    Den Rasen durfte ich mähen, weil er zu geizig für einen Gärtner und zu faul zum Selbermähen war. «Was nämlich passierte», sagte er, «ist, dass der Typ ausrutschte, wahrscheinlich auf einem Kackhaufen, und das Bein verfing sich in den rotierenden Messern. Er hat dann seinen Fuß wiedergefunden und ins Krankenhaus mitgenommen, aber es war zu spät, ihn wieder anzunähen. Kannst du dir das vorstellen? Der Typ ist fünfzehn, zwanzig Meilen mit dem Fuß auf dem Schoß Auto gefahren.»
    Trotz der Hitze mähte ich den Rasen in voller Ausrüstung, mit langer Hose, kniehohen Stiefeln, Football-Helm und Schutzbrille. Bevor ich anfing, suchte ich den Rasen nach Steinen und Hundekot ab, kämmte den gesamten Bereich durch, als wäre er vermint. Trotzdem schob ich den Rasenmäher stockend vor mir her, musste ich doch damit rechnen, dass dieser nächste Schritt mein letzter war.
    Nie war etwas Schlimmes passiert, und nach ein paar Jahren mähte ich in Shorts und Turnschuhen, dachte aber an den angeblichen Freund, den mein Vater verwendet hatte, um seine Warnung zu illustrieren. Ich stellte mir vor, wie dieser Mann in sein Auto sprang, mit einem blutigen Beinstumpf Gas gab, einen warmen Fuß auf dem Schoß geborgen wie ein schlafendes Hündchen. Warum hatte er nicht einfach einen Krankenwagen angerufen? Wie hatte er, unter Schock stehend, daran denken können, in den Wildkräutern nach seinem Fuß zu suchen? Es passte alles vorne und hinten nicht zusammen.
    Ich wartete bis ein Jahr vor der Mittleren Reife, bis ich mich für den Verkehrsunterricht eintrug. Bevor wir uns auf die Straße wagten, saßen wir im verdunkelten Klassenzimmer und sahen uns Filme an, deren Drehbuch und Regie von meinem Vater hätten sein können. Lasst es lieber, dachte ich, als ich sah, wie das Pärchen auf dem Heimweg vom Schulball sich anschickt, einen schwerfälligen Müllwagen zu überholen. Jede Spritztour endete damit, dass sich der junge Fahrer um einen Telegraphenmast wickelte oder bis zur Unkenntlichkeit verbrannte, während die Kamera ein blutiges Brustbukett fokussierte, welches den Straßenrand beschmutzte.
    Ich fuhr nicht schneller Auto, als ich den Rasenmäher schob, und bald verlor der Fahrlehrer die Geduld.
    «Dieser Führerschein ist dein Todesurteil», sagte mein

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