Nackt
kamen nicht sehr gut miteinander aus, aber ich hoffte, die warmen Fluten des Mittelmeers würden den Eiszapfen schmelzen, den sie sich vor Zeiten irrtümlich als Fieberthermometer ins Rektum geschoben hatte. In einem Land voller Fremdlinge hatte sie keine andere Wahl und musste mich bereitwillig als Begleiter akzeptieren.
Unser Vater brachte uns nach New York, wo wir die anderen Ferienkinder trafen, mit denen wir per Charter nach Athen fliegen sollten. Es waren Hunderte, jedes zuversichtlich und in Feierlaune. Sie schmissen mit ihren Gratis-Flugtaschen von Aegean Airlines, riefen und rempelten. So würde ich mich bei der Rückkehr aus dem Ferienlager benehmen, aber keinen Augenblick früher. Wäre es ein reines Mädchenlager gewesen, hätte ich mich vielleicht in einen gewissen Enthusiasmus hineinsteigern können. Hätten sie mich ganz allein losgeschickt, damit ich menschenfressenden Pygmäen Blutegel vom Rücken klaube, wäre ich vielleicht tapfer aufgebrochen –, aber einen Monat in einem Schlafsaal voller Jungens zu verbringen, war ein bisschen viel verlangt. Ich hatte versucht, es zu verdrängen, aber angesichts ihrer lärmenden Präsenz merkte ich, wie ich immer hysterischer wurde. Meine nervösen Ticks arbeiteten höchsttourig, und eine kleine Menschenmenge versammelte sich, um etwas zu beobachten, was sie für einen exotischen Volkstanz hielt. Falls meine Schwester sich Sorgen wegen unserer Reise machte, so ließ sie sich das gewiss nicht anmerken. Finger um Finger lockerte sie den eisernen Griff, mit dem ich ihr Handgelenk umklammert hielt, querte die Abflughalle und stellte sich einem Mädchen vor, welches verwertbare Kippen aus dem großen Standaschenbecher barg. Es war dies eine hartgesotten wirkende Eingeborene von Queens namens Stefani Herzinfarktidis oder Testikulo-pulos. Ich erinnere mich nur, dass ihr der Nachname einen lebenslangen Vorrat an Groll eingetragen hatte. Stefani trug eine verspiegelte Pilotensonnenbrille und einen überdimensionierten Kamm in der Gesäßtasche ihrer Hüftschmeichler-Jeans. Von allen Mädchen auf dem Flugplatz schien dieses die unwahrscheinlichste Kandidatin für die Freundschaft meiner Schwester. Im Flugzeug saßen sie nebeneinander, und als wir in Athen von Bord gingen, sprach Lisa mit einem ganz üblen Queens-Akzent. Während des langen Fluges, den ich neben einem Jungen namens Seamen gekauert verbracht hatte, war sie einer kompletten physischen und kulturellen Umwandlung ausgesetzt gewesen. Ihr schulterlanges Haar war jetzt seitlich gescheitelt, sodass es ihre linke Gesichtshälfte bedeckte, als sollte es eine hässliche Narbe verbergen. Sie fluchte und spuckte und blickte so feindselig aus dem Fenster des Charter-Busses, als wäre sie mit der einzigen Absicht nach Griechenland gekommen, ihm, Griechenland, in den staubigen Arsch zu treten. «Wassn-dasfürne Scheißgegend», gellte sie. «Wennichgewusstheddedassas hierso heißis, heddichdoch ssuhausbleimkönn unnn Koppinne Bratröhresteggn, stimmpsmeedls?!»
Es beschämte mich, wie meine Schwester so schwer mit einem Akzent zu kämpfen hatte, der sie nur entwürdigen konnte, aber ich gratulierte ihr im stillen zu ihrem Wagemut. Sobald wir das Lager erreicht hatten, einen Klump weißgetünchter Gebäude, die ein Stück öde Küste säumten, von jedem Nachbardorf weit entfernt, ging ich zu ihr.
«Hör zu, Arschloch», sagte sie, «solang wir hier sind, kenn ich dich nicht, und du kennst mich schon mal gar nicht, hat du das scheissenochmal kapiert?» Sie redete, als spräche sie für ein Tourneetheater vor, das mit West Side Story über die Dörfer tingelt, eine Hand in die Hüfte gestemmt, die andere Hand am Taschenkamm, als wäre er ein Schnappmesser.
«Ey, Carolina!», rief eine ihrer neuen Freundinnen.
«Schon guuut», muhte sie. «Ichkommjaschon, ichkomm-jaschon.»
Das war unser letztes Gespräch, bevor wir nach Hause fuhren. Lisa hatte sich mit bemerkenswerter Leichtigkeit eingewöhnt, aber etwas tief unten in meinem Bauch wollte mir sagen, dass es bei mir weit weniger gedeihlich verlaufen würde. Das Lager dauerte einen Monat, in dessen Verlauf ich kein einziges Mal Stuhlgang hatte. Ich war die Benutzung eines halbprivaten Badezimmers gewohnt und brachte es nicht über mich, eine dieser Männerklokabinen zu besetzen, weil ich fürchtete, jemand könnte von draußen meine Schuhe erkennen oder sie, noch schlimmer, gar nicht sehen und einfach reinkommen. Sich dreimal täglich zu einer schweren griechischen
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