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Nackt

Nackt

Titel: Nackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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und ich wählte die Fahrbahnmitte, wo es sicherer zu sein schien. Ich gab ordentlich Gas und tat, als führe ich eine Schwangere zur Entbindung, dann wurde ich langsamer und schlich auf dem Bankett entlang, als wäre ich am Steuer eingeschlafen. Wir kamen an eine Ranch, die in der Farbe von Radiergummis angestrichen war. Im Garten stand ein Mann. Er trug eine Schürze und bediente einen rauchenden Grill. Ich hupte und winkte und erwartete, dass er seine Grillzange fallen lassen und in Deckung rennen würde, als hätte er einen Schimpansen am Steuer gesehen. Anstatt aber nun ins Unterholz zu tauchen, hob der Mann seine behandschuhte Hand zum Gruß, bevor er sich wieder um sein Grillgut kümmerte. Es war aufregend, dass mich jemand mit einem Autofahrer verwechseln konnte, dass ich einen kurzen Augenblick lang seriös und selbständig gewirkt hatte. Ich genoss meinen Ausfug, aber ich wusste, dass er nie zur Gewohnheit werden würde. Auto fahren ist zu gefährlich, und davon abgesehen bin ich nicht der Typ, der Versicherungsformulare ausfüllt. Ich zog in Städte mit anständigen öffentlichen Verkehrsmitteln, nach Chicago und dann nach New York, was sogar noch besser ist, weil es da mehr Taxis gibt. Wenn man mitgenommen werden will, streckt man die Hand aus, allerdings ohne den Daumen, welchen man innen gegen die Handfläche drückt. Die Fahrer sprechen nicht viel Englisch, aber dafür bezahlt man sie ja zum Teil: die Ruhe.
    Hin und wieder fahre ich bei einem Freund mit, und wir kommen an jemandem vorbei, der am Straßenrand steht. Das Haar ist vom vorüberhastenden Verkehr wüst verweht und seine Lippen bewegen sich in Fluch oder Gebet. Ich möchte dem Fahrer sagen, er soll rechts ranfahren und anhalten, aber stattdessen tue ich so, als gäbe es plötzlich Probleme mit dem Rundfunkempfang, und ich senke den Kopf, bis der Geist aus dem Rückspiegel verschwunden ist.

Die unvollst ändige Quaddel
    D ie Jahre auf der High School verbrachte ich, indem ich aus dem Klassenfenster auf die Kiefern starrte und mir vorstellte, wie ich mich auf dem Campus einer der traditionsreichen, prestigeträchtigen Ivy-League- Universitäten ausmachen würde, wo die alten Gebäude vom Efeu überwuchert waren, daher der Name Efeu-Liga, und wo mein wohlhabender Zimmergenosse Colgate mir Zettel aufs Kopfkissen legte, auf denen stand: «Auf der Quaddel um fünf!» Ich wusste nicht genau, was eine Quaddel war, aber ich wusste, dass ich verzweifelt gern eine gehabt hätte. Meine Kommilitonen besäßen Pferde und Schuhlöffel mit Monogramm. Ich würde die Wochenenden auf dem Landsitz meines Zimmergenossen verbringen, und seine Mutter würde Sachen sagen wie: «Ich habe Helvetica angewiesen, diese kleinen Pfannkuchen zu bereiten, die Sie so sehr schätzen, aber es ist ihr höllisch schwergefallen, frische Kap-Stachelbeeren aufzutreiben.» Diese Frau würde echt große Zähne haben, die sie jedes Mal enthüllte, wenn sie den Kopf zurückwarf, um über einen meiner zahlreichen geistvollen Scherze zu lachen. «Sie sind ja absolut zum Piepen», wieherte sie. «Sagen Sie, dass Sie es wenigstens in Erwägung ziehen, Weihnachten in Bridle Haven zu uns zu stoßen; ohne Sie wäre es einfach nicht dasselbe.»
    Ich phantasierte mit dem nagenden Verdacht, dass da etwas fehlte, etwas, was ich vergessen hatte. Was da fehlte, waren, so stellte sich heraus, die Zensuren. Zutiefst enttäuscht machte ich die Entdeckung, dass man mehr als einen Notendurchschnitt von 3 brauchte, um nach Harvard zu kommen. Durchschnitt, das war das Wort, was mich aufregte. 3 und Durchschnitt, die beiden gingen Hand in Hand.
    Stattdessen wurde ich auf ein staatliches College im Westen von North Carolina geschickt, dessen niedrige Ziegelgebäude mit Tafeln versehen waren, auf denen ERRICHTET 1974 stand, und mein Zimmergenosse legte mir Zettel aufs Kopfkissen, auf denen ich beschuldigt wurde, ihm seine Halskette aus hawaiianischen Muscheln oder sein Förderkurs-Englisch-Buch gestohlen zu haben. Ich erwarte, eines Tages die Zeitung aufzuschlagen und zu erfahren, dass die Regierung den Campus als Teil eines perversen Experiments missbraucht hat, dessen Ziel die Erforschung der Auswirkungen kontinuierlicher Pink-Floyd-Beschallung im hohen Dezibel-Bereich auf die Geistesverfassung von Studenten war, welche aus jedem gegebenen Objekt eine Haschisch-Wasserpfeife herzustellen vermochten, aber nicht in der Lage waren zu verstehen, dass es schlicht nicht möglich ist, mit einem Kleinbus nach Europa

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