Nadel, Faden, Hackebeil
Dankbarkeitskuss gehandelt hatte, mehr nicht. An diesem Abend wollten sie sich gleich nach seinem VHS -Männerkochkurs wiedersehen. Dann würde er ihr mit mehr als nur Worten zeigen, wie leid es ihm tat. Wobei ihm im Grunde nichts leidzutun hatte, aber wenn sein langes Zusammenleben mit Frauen ihn eines gelehrt hatte, dann das: sich
immer
entschuldigen! War man im Unrecht, gehörte es sich so; war man nicht im Unrecht, wussten das die Frauen und zeigten sich nach der Entschuldigung in jedweder Hinsicht umso erkenntlicher.
Die Glocken von St. Michael beendeten ihr Geläut. Von oben waren jetzt Schritte zu hören. Seifferheld wurde aus seinen vorfreudigen Tagträumen gerissen. Sein Harem war aufgewacht!
Seifferheld seufzte erneut. Weniger vorfreudig.
Er sah noch einmal auf den Bildschirm seines Laptops. Der Polizeibericht war fertig. Ein letztes Mal diagonal überfliegen – gut so – und ab damit. Er drückte auf die »Senden«-Taste.
Das Verfassen von Polizeiberichten für das
Haller Tagblatt
war das Einzige, was ihn noch mit dem Polizeiberuf verband, der fast vierzig Jahre lang seinen Lebensmittelpunkt gebildet hatte. Gesine Bauer, die Polizeichefin, glaubte, ihm damit etwas Gutes zu tun. Dabei hasste er diese Aufgabe. Nur über Abenteuer schreiben zu dürfen, sie nicht länger erleben zu können, schürte jeden Tag aufs Neue seinen Groll auf das Schicksal, das ihn zum Krüppel gemacht hatte. Aber er konnte die Polizeichefin natürlich nicht vor den Kopf stoßen, indem er einfach ablehnte. Also formulierte er die Polizeiberichte, die ja eigentlich nüchtern und sachlich zu sein hatten, so frech, dass er minütlich mit dem alles entscheidenden »Das war’s!«-Anruf der Polizeichefin rechnete. Aber dieser Anruf wollte und wollte einfach nicht kommen. Er seufzte ein drittes Mal. Unfroh.
Da ging die Tür auf.
» SIIIEGFRIED !«, donnerte es. »Du alkoholisierst dich schon wieder vor dem Frühstück!«
Seine Schwester Irmgard stob herein und roch dabei zart nach Lavendel. Der Lavendelduft war das Einzige, was an ihr zart war. Wäre es ihr als junger Frau möglich gewesen, der Bundeswehr beizutreten, sie wäre mittlerweile Generalin. Ach was, Oberbefehlshaberin der NATO -Streitkräfte.
Seifferheld war mitnichten alkoholisiert. Er trank einfach nur jeden Morgen ein Wasserglas voll selbstgemachtem Most, weil er auf die gesundheitlichen Vorzüge eines solchen Vorgehens schwor. Opa Seifferheld hatte mit genau dieser Methode das reife Alter von 101 erreicht.
»Wenn du schon trinkst, dann musst du auch ordentlich essen. Du brauchst eine Grundlage«, verkündete Irmi, wie sie es jeden Morgen, den Gott schuf, tat – seit Seifferhelds Frau damals gestorben war und sie sich schlagartig für seine Verköstigung zuständig fühlte. »Ich mache dir ein Spiegelei mit Speck und eine schöne Tasse Kaffee.«
Seifferheld schüttelte sich. Irmis Kaffee, wenn man dieses schwarze Gebräu denn so nennen wollte, war weder in Konsistenz noch in Geschmack von Rohöl zu unterscheiden.
Und wieder öffnete sich die Küchentür.
»Guten Morgen, guten Morgen, ist es nicht ein herrlicher Morgen?«, trillerte Susanne und verströmte dabei den blumigen Duft von Chanel No. 5 . Noch bis vor ganz kurzem war sie auch privat die knallharte Managerin gewesen, die sie in den Sitzungen des oberen Managements der Bausparkasse Schwäbisch Hall heraushängen ließ. Dann aber war die Liebe in ihr Leben getreten. In Gestalt von Seifferhelds krankenkassenbezahltem Physiotherapeuten Olaf Schmüller.
Olaf folgte Susanne in diesem Moment auf den Fersen. »Guten Morgen zusammen«, rief er fröhlich. Vielleicht lag es an Susannes aufrechter Haltung, dass Olaf neben ihr so überaus klein und zart wirkte. Oder an der Tatsache, dass er gut und gern zehn Zentimeter kleiner war als die Auserwählte seines Herzens.
Wo die Liebe hinfällt, dachte Seifferheld. Seine Tochter, die Eisenfresserin, turtelte jetzt mit einem sanftmütigen Pferdeschwanzträger. Wahrscheinlich klopfte er sie mit seinen kundigen Fingern so kuschelweich, wie sie in diesem Moment trotz ihres Hosenanzugs und den Stilettopumps wirkte, an die Buchenholzarbeitsplatte gelehnt, diverses Obst und Gemüse in den Mixer werfend. Innerlich hatten die beiden viel gemeinsam: mageninnerlich. Beide verzehrten zum Frühstück selbstgemixte Gesundheitssäfte, und seit Olaf immer öfter im Seifferheldschen Haus übernachtete, wuchs in Seifferheld die Angst, die beiden könnten sich eines Tages
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