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Nadel, Faden, Hackebeil

Nadel, Faden, Hackebeil

Titel: Nadel, Faden, Hackebeil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Kruse
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verschwören und ihn gemeinsam zwingen, sich einer Zwangsdiät aus farblich changierenden Gemüsesäften zu unterziehen. Doch so weit war es noch nicht. Noch waren die beiden mit sich beschäftigt.
    Die Tür ging erneut auf, und in ihrem quietschgelben Pyjama kam seine Nichte Karina hereinspaziert. Wie oft hatte sie früher als Kleinkind an Fest- und Feiertagen auf seinem Schoß gesessen und verzückt gekreischt, wenn er sie am Bauch gekitzelt hatte. Diese Zeiten waren lange vorbei. Jetzt kreischten alle anderen – meistens vor Entsetzen. Entweder, weil Karina in ihrem Bemühen, der Welt ein Statement vorzusetzen, wieder einmal ein allzu gewagtes Outfit trug, oder wenn sie, wie so oft in letzter Zeit, an spektakulären Aktionen teilnahm: Sie hatte sich schon nackt an das Geländer vor St. Michael gekettet, um gegen Pelztierhaltung zu demonstrieren; sie hatte sich halbnackt am Markttag auf den Milchmarkt gelegt, mit Kunstblut eingeschmiert, um gegen Fleischverzehr zu protestieren; sie hatte Schwäbisch-Hällische Landschweinferkel in Wackershofen aus dem Freigehege befreit, um ein Zeichen gegen Massentierhaltung zu setzen. Und das war nur die Spitze des Eisbergs. Doch auch Karina war in letzter Zeit etwas sanfter geworden, und dahinter steckte ein junger Mann.
    Selbiger junge Mann, der nun gerade die Küche betrat. Seifferheld war sich nicht ganz sicher, was sein Bruder und dessen Frau von dieser Beziehung halten würden, wenn sie denn davon wüssten. Als sie ihm ihre einzige Tochter anvertraut hatten, damit sie unter seinem Dach wohnen konnte, während sie an der hiesigen Fachhochschule Mediendesign studierte, hatten die beiden sicher zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise vermutet, dass ihre Kleine so enden würde: als knallbunte Aktivistin. Mit einem nicht ganz adäquaten Freund.
    Dass Fela Nneka Schwarzafrikaner war, war nicht das Problem. Im Gegenteil, Karinas Eltern waren stolz darauf, progressive Intellektuelle zu sein, und würden diesen Schuss Exotik für politisch mehr als korrekt halten. Aber ein freiberuflicher Fotograf! Ein Mann ohne sicheres Einkommen. Und man kannte doch Fotografen: Die schossen allesamt anrüchige Aktbilder. Ihre arme, unschuldige Tochter!
    Nein, wenn es nach Seifferheld ginge, würden sein Bruder und dessen Frau nie von Fela erfahren. Die beiden jungen Leute hatten noch das ganze Leben vor sich. In ein paar Wochen, allenfalls Monaten war die Sache ohnehin vorbei. Allerdings glaubte Seifferheld keine Sekunde lang, dass sich Karina – auch nachdem sie Fela in den Wind geschossen haben würde – jemals für einen gutsituierten, angepassten Mann entscheiden könnte, der das Wohlgefallen ihrer Eltern zu erlangen vermochte. Hauptsache war jedoch, sie entschied sich erst, wenn sie sein Haus verlassen hatte, dann traf ihn keine Schuld mehr. Vielleicht dauerte das junge Glück auch nur noch wenige Tage. Karina war nämlich fanatische Veganerin, und Fela aß zum Frühstück am liebsten Weißwürste mit süßem Senf.
    »Onkel Siggi, kannst du mir fünfhundert Euro borgen?«, fragte Karina.
    »Wozu brauchst du denn so viel Geld?«, wollte Irmi wissen.
    Karina ging gar nicht weiter auf ihre Tante ein. »Ich zahle es dir nächsten Monat zurück, versprochen. Wenn ich Mama und Papa besuche, knacke ich mein altes Brautschuhpfennigsparschwein. Das wird reichen.«
    »Ihr jungen Leute versteht es einfach nicht, zu haushalten!«, verkündete Irmi. »Wir damals hatten nichts und sind bestens damit ausgekommen.«
    Seifferheld, der ein weiches Herz hatte, nickte seiner Nichte verstohlen zu.
    »Hier, Siggi, deine Spiegeleier mit Speck.« Irmi knallte ihm den Teller schwungvoll vor die Nase. Wenn es nach ihr gehen würde, würde hier so einiges anders laufen, aber es ging ja nicht nach ihr.
    Seifferheld musste schmunzeln. Seit die beiden jungen Frauen nur noch ihre Männer im Kopf hatten, war das Frühstücken sehr viel angenehmer geworden. Susanne zwang ihm keinen Gemüsesaft mehr auf und Karina kein laktose-, milcheiweiß-, gluten-, cholesterin- und geschmackfreies Müsli. Mit Irmis Frühstück kam er weitgehend zurecht: Ihre Spiegeleier waren köstlich, den Speck bekam – sobald er ausgekühlt war – Onis, und mit der Tasse Kaffee tränkte er im Flur den Gummibaum Nummer elf. Die Gummibäume eins bis zehn waren aufgrund von Irmis Koffeingebräu, mit dem er sie regelmäßig zu gießen pflegte, bereits in die ewigen Gummibaumgründe eingegangen. Aber besser sie als er.
    Da ging die Tür erneut

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