Nadel, Faden, Hackebeil
zweifelsohne die Lachnummer der gesamten Kirchengemeinde. Sie, Irmgard Seifferheld, seit vier Jahrzehnten eine der Säulen der Gemeinde, sah sich nackte Männer auf ihrem Computerbildschirm an.
Irmgard verschluckte sich an dem heißen Chai. Wenn sie gekonnt hätte, sie hätte geheult, aber sie war nun einmal nicht nahe am Wasser gebaut.
Dabei tat Irmgard Frau Bertsch-Baierle unrecht. Frau Bertsch-Baierle hatte den Umstand, dass Irmgard Seifferheld die Chippendales als Bildschirmschoner hatte, nur einem einzigen Menschen erzählt, nämlich ihrem Mann, den sie zärtlich liebte.
Sie saßen nach dem Abendessen nebeneinander auf der Couch, in evangelische Erbauungslektüre vertieft, als sie an Irmi dachte und von dem Bildschirmschoner erzählte, und dabei hatte sie völlig ohne Hohn und Spott oder Genugtuung nur erwähnt, wie schön sie es fand, dass Irmgard Seifferheld offenbar doch menschliche Regungen in diesem scheinbar allzu kalten Herzen hatte. Was Frau Bertsch-Baierle gegenüber ihrem Hans-Georg in diesem Zusammenhang nicht erwähnte, war der Umstand, wie knackig diese eingeölten Männerkörper ausgesehen hatten und wie heiß es ihr bei deren Anblick geworden war. Aber Frau Bertsch-Baierle liebte ihren Hans-Georg wirklich, und die Bierbauchtaube in der Hand ist allemal besser als der Sixpackspatz auf dem Dach, hatte sie gedacht und ihm daraufhin einen zarten Kuss auf die linke Wange gehaucht, was er – zu Recht – als frohe Verheißung für den Rest der Nacht deutete.
Irmgard jedoch ging vom Schlimmsten aus, wie immer.
Sie löschte die E-Mail. Womöglich würde sie am Samstag Grippe vortäuschen. Oder die Legionärskrankheit. Oder Lepra. Aber die Blumengruppe der Kirchengemeinde würde von nun an definitiv ohne sie auskommen müssen.
Die nächste Mail war von der Online-Partneragentur. Der Master of Health aus Kiel hatte ihr geantwortet. Ihr Profil sei wirklich sehr ansprechend, und ob sie nicht einmal persönlich mit ihm Kontakt aufnehmen wolle.
Irmgard schnaubte. Was genau war ein Master of Health? Etwas Unanständiges? Und Kiel war doch so weit weg. Sie hielt inne. Genau! Kiel war weit weg. Vielleicht war es an der Zeit, dass sie Schwäbisch Hall den Rücken kehrte. Hier war ihr Ruf ohnehin ruiniert. Und Kiel sollte ja wirklich sehr schön sein. Auch so nah an Dänemark. Und überhaupt: die Ostsee!
Entschlossen presste sie die Lippen aufeinander und klickte auf »antworten«.
20 : 00 Uhr
Möchte deinen Hals berühren,
deinen Mund an meinen führen –
ach, wie sehn’ ich mich nach dir,
heißgeliebte Flasche Bier!
»Prösterchen!«, rief Bauer zwo und hob die Mohrenköpfleflasche hoch.
Es war wieder Mord-zwo-Stammtischzeit im Nebenzimmer der Gaststätte Sonne in der Gelbinger Gasse.
Wurster, Van der Weyden, Dombrowski, Bauer zwo und Seifferheld stießen mit ihren Bierflaschen an. Da keiner Bereitschaftsdienst hatte, konnten alle frischfrommfröhlichfrei dem Gerstensaft zusprechen.
Anschließend griffen sie zu ihren Löffeln und machten sich über ihre Kutteln mit Bratkartoffeln her. Nur Bauer zwo aß nichts, er war auf Diät. Seine lila Motorradfahrerlederkluft kniff.
Onis lag unter dem Tisch und schnaufte.
Die Männer trafen sich schon seit Jahren einmal die Woche zum Stammtisch. Wobei Dombrowski eigentlich gar nicht zu Mord zwo gehörte, sondern zur Sitte, aber wenn man die Frechheit besitzt, oft genug uneingeladen aufzutauchen, gehört man irgendwann eben doch dazu.
Da Bauer zwo jetzt als Einziger den Mund frei hatte, oblag es ihm, für Konversation zu sorgen. Fand er. Die anderen hätten gern auch schweigend gegessen, aber Schweigen hielt Bauer zwo nicht aus. Es ging das Gerücht, dass er hören konnte, wie der Wind durch seinen leeren Schädel pfiff, wenn er nicht redete. Deshalb redete er andauernd. Und meistens Unsinn, wie jetzt gerade.
»Was haben die eigentlich mit dem ganzen unverbrauchten Schweinegrippeimpfstoff gemacht?«, fragte er niemand im Besonderen. »Wurde der prophylaktisch ins Trinkwasser gekippt? Oder zu Sushi-Tunke oder Sonnenöl verarbeitet? Das kann man doch nicht einfach wegschütten.«
Die anderen waren derlei philosophische Absonderungen aus Bauer zwos Mund gewohnt und aßen einfach weiter. Seifferheld dachte jedoch nicht zum ersten Mal, dass die Eltern von Bauer zwo Geschwister gewesen sein mussten. Er war und blieb das beste Argument für Geburtenkontrolle.
»Ist ja heiß, was gerade bei uns in der Stadt abgeht«, plapperte Bauer zwo munter weiter.
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