Nadel, Faden, Hackebeil
das ging wirklich nicht«, gab Kläuschen ihm recht. »Boar, sah der scheiße aus.«
»Ich hatte ja keine Ahnung, dass die Vergiftung so schwer ist«, meinte Eduard tief erschüttert.
»Dann müssen wir jetzt also …« Guido sprach den Satz nicht zu Ende.
»Er hätte es so gewollt.« Gotthelf hatte feuchte Augen. Als ob Bocuse schon tot wäre.
Schweigend traten sie vor den Aufzug, und schweigend fuhren sie gleich darauf nach unten.
Sie hätten noch einen Moment warten sollen.
Eine Minute später kam nämlich der behandelnde Arzt vorbei.
»Meine Güte, Sie sehen furchtbar aus«, rief er fröhlich, als er an das Bett von Bocuse trat. »Was ist Ihnen denn über die Leber gelaufen?«
Wie gesagt, er war der behandelnde Arzt. Er wusste, dass sich sein Patient nur eine äußerst leichte Fischvergiftung eingefangen hatte und die Gesichtsbleiche unmöglich damit in Zusammenhang stehen konnte. Er hielt die Entlassungspapiere schon in der Hand: Bocuse würde noch an diesem Nachmittag nach Hause geschickt werden. Oder, falls das Bocuse lieber war, zum Surfen nach Maui. Der Mann war wieder kerngesund.
Der Franzose sah waidwund zu seinem Arzt auf. »Es ist nichts«, log er. Dass aber doch etwas war, hätten Insider schon allein daran erkannt, dass Bocuse vergaß, mit Akzent zu sprechen. Doch die anderen sieben auf dem Zimmer waren keine Insider, ebenso wenig wie der Mediziner.
»Es ist wirklich alles in Ordnung«, setzte Bocuse noch eins drauf. Eher würde er sich mit eigener Hand die Zunge aus dem Mund reißen, als irgendeiner lebenden Seele zu erzählen, was er gerade über sein – entgegen den Krankenhausvorschriften eingeschaltetes – Handy von seinem Buchmacher erfahren hatte: Beau Temps war als Sechster durchs Ziel. Als Sechster! Ein unerhörtes Vorkommnis für ein Galopppferd dieser Güte. Bocuse hatte satte 15 000 Euro verloren. Das gesamte Urlaubsgeld. Plus die Anzahlung für die neue Küche. Wie sollte er das jetzt seiner Frau erklären?
Mon dieu, was würde seine Frau mit ihm machen?
Eigentlich war es anatomisch unmöglich, aber er wurde noch einen Tick bleicher.
Im Grunde war klar, was seine Frau mit ihm machen würde. Besser gesagt, was sie nie wieder mit ihm machen würde.
Na ja, er brauchte ohnehin keinen Sex mehr – das Leben fickte ihn schon jeden Tag.
11 : 30 Uhr
Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss.
Von wegen »kein Mensch muss müssen« – Lessing irrte!
Sie saßen um einen der Tische neben dem Haupteingang der Diakonissenanstalt. Es gab keine Sonnenschirme, deswegen heizten sich ihre Köpfe ordentlich auf.
»Mir ist nicht gut«, äußerte Kläuschen. Menschliches Leid kannte er sonst nur aus dem Fernseher, und selbst bei seinem Breitbildteil wirkte es da viel erträglicher als in natura. »Meint ihr, er stirbt?«
Betretenes Schweigen. Keiner von ihnen war mehr jung, und nur die Jugend glaubte an das Wunder der Medizin und an die Unsterblichkeit. Alte Leute wussten, wie schnell und aus heiterem Himmel es oft gehen konnte, dass der Sensenmann die Backen aufblähte und unverhofft das Lebenslicht eines Menschen ausblies.
Seifferheld schluckte. »Also, hört mal, ich finde, wir sind es Bocuse schuldig, dass wir seinen Traum wahr machen.« Man hat im Alltag nicht oft Gelegenheit, derart pathetische Worte von sich zu geben. Und wenn man es denn tut, erntet man bei den Zuhörern meist nur breites Grinsen. Doch in diesem Moment grinste niemand.
Die Kochjungs nickten nur. Keiner wollte kneifen.
»Es gibt Kochbücher. Es gibt Frauen. Jeder weiß, was er zu tun hat! Wir kriegen das hin!«, schwor Seifferheld seine Truppe ein.
Alle setzten entschlossene Gesichter auf.
Jawoll, sie würden Bocuse alle Ehre einlegen. Wenn es wirklich hart auf hart kam, sollte er von seiner Wolke auf sie herabschauen und stolz auf sie sein und wie der Münchner im Himmel »Luuja, soag i« rufen. Jawoll, sie würden ihre Konkurrenz in Grund und Boden kochen!
»Für Bocuse!«, rief Schmälzle.
»Für Bocuse!«, riefen alle und fühlten sich an ihre Musketierjugend erinnert.
»Äh, Leute«, meldete sich Kläuschen zu Wort, »klärt mich mal auf, was ist doch gleich noch mal ein Soufflé?«
Alle seufzten.
Na ja, keiner hatte gesagt, dass es einfach werden würde …
15 : 51 Uhr
Kunst kommt von können,
käme es von wollen, hieße es Wunst!
»Nein, nein, nein – kein Kunstlicht, ja kein Kunstlicht!« Konzi von Bellingen war der Verzweiflung nahe. »Nur Tageslicht schmeichelt meinen
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