Nadel, Faden, Hackebeil
jedoch sehr leise, denn Seifferheld hatte sich noch nicht geoutet. Er war ein heimlicher Sticker. Männern seiner Generation, noch dazu in einer süddeutschen Kleinstadt, fiel es eben nicht leicht, sich zu so einem »Frauendings« zu bekennen.
In diesen frühen Morgenstunden litt er mal wieder an seniler Bettflucht, und was lag da näher, als zum Stickrahmen zu greifen? Sticken, das war für ihn ein großes Stück Lebensqualität geworden. Beim Sticken konnte er auch besonders gut nachdenken.
Nachdem die Nachfrage nach seinen »I love Germany«-Kissen abrupt geendet hatte und sein Versuch, japanische Schriftzeichen auf Kissen zu sticken, jämmerlich gescheitert war, weil er offenbar bei der Transkription geschludert hatte und nun obszöne Verwünschungen auf den Kissen standen, hatte er beschlossen, ein riesiges Gobelinbild zu sticken. Gewissermaßen sein Lebenswerk. Es würde Leda und den Schwan darstellen, wobei Leda die Gesichtszüge von MaC tragen sollte und der Schwan ihn, Seifferheld, symbolisierte. Die Vorlage hatte er selbst gezeichnet. Angesichts der Größe des Objekts hatte er sich im zuständigen Fachhandel einen mannshohen Stickrahmen mit Holzständer besorgt. Zusammenklappbar, damit er – wie alle anderen Stickutensilien – in der großen Eichentruhe vor dem Fenster verschwinden konnte. Sein Harem brauchte nicht zu wissen, dass er stickte.
Und nun stand er vor dem Stickrahmen und stickte in Petit Point auf Seidengaze nur einen Gewebefaden – so wirkte das Stickbild voller. Diesen Tipp hatte er von einem Stickbruder aus dem anonymen Online-Stickclub »Der bestickte Mann« bekommen.
Während er zu dieser frühen Morgenstunde die drei Einzelfäden einfädelte und Onis mit zuckendem Schwanz vor ihm Sitz machte, weil er hoffte, es würde nun gleich hinaus in Feld und Flur gehen, grübelte Seifferheld über die beiden Morde nach.
Lambert von Bellingen hatte also Drohbriefe erhalten, und deshalb ging das LKA von einem politisch motivierten Mord aus. Schön und gut, aber warum war er dann nicht medienwirksam im oder um den Landtag ermordet worden? Warum auf der Herrentoilette eines Parkhauses in seiner Heimatstadt? Und wenn die Bedrohung wirklich so groß gewesen war, warum hatte von Bellingen dann keinen Personenschutz beantragt?
Nein, nein, nein, das stank zum Himmel.
Onis hatte mittlerweile realisiert, dass sein Herrchen ihn nicht sofort Gassi führen würde. Resigniert legte er sich auf den Bettvorleger, den riesigen Hovawart-Schädel zwischen den Vorderpfoten, die rehbraunen Augen vorwurfsvoll auf sein Herrchen gerichtet. Herrchen war aber noch ganz in Gedanken und merkte nichts.
Wer, bitte schön, glaubte ernsthaft, dass so gut wie zeitgleich zum Mord an Lambert von Bellingen seine Geliebte Kiki von einem Junkie, der Kleingeld für den nächsten Schuss brauchte, brutal erschlagen worden war? Einfach so. Rein zufällig.
Zwei Fliegen, zwei Klappen? Niemals.
Eine
Klappe, da ging er jede Wette ein!
Dann rief Seifferheld sich abrupt zur Ordnung. Siggi, sagte er zu sich, wie lautet dein Mantra? Salat, Salat, Salat! Lass die Kollegen ermitteln, deine Aufgabe besteht in der Suche nach dem ultimativen Salatrezept. Bestimmt konnte Irmi ihm da weiterhelfen. Oder MaC.
Aber wenn sich die Kollegen und das LKA nun in diese dumme Zufallsidee verrannten und aus diesem Grund ein Mörder ungeschoren davonkam? Seifferheld würde sich doch den Rest seines Lebens jedes Mal Vorwürfe machen, wenn er Salat aß!
Nein, er durfte nicht tatenlos zuschauen. Er musste ausschließen, dass es nicht doch einen Zusammenhang zwischen den Morden gab. Er würde mit dem Bruder sprechen. Ja, das war das Beste. Meine Güte, jetzt hatte er die Details vergessen: Hieß der Bruder Vitali und machte in seiner Freizeit Scherenschnitte?
Dieser verdammte Bauer zwo!
Aus dem Polizeibericht
Der eigene Furz riecht jedem am besten
Ein LKW -Unfall bei der Kochertalbrücke sorgte für eine fünfstündige Sperrung der A 6 in Richtung Nürnberg. Kurz nach 17 Uhr verlor der Fahrer die Kontrolle über den 40 -Tonner. Der Hänger kippte um und legte sich quer über die Autobahn. Die Ladung, rund 27 Tonnen Klärschlamm aus Sindelfingen, die in die neuen Bundesländer zum Verbrennen gefahren werden sollten, wurde weitgehend über alle Fahrspuren in Richtung Nürnberg verstreut, wodurch sich ein mehr als strenger Geruch über Autobahn und Kochertal legte, vornehmlich über die Gemeinde Braunsbach. Mit Schaufeln und einem Bagger musste die
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