Nadel, Faden, Hackebeil
Trauerhaus unsere Aufwartung machen.«
»Sehen wir dann eine Leiche?«
»Äh … nein.«
Mozes guckte unentschlossen.
»Du bekommst auch ein Eis. Ein großes Eis.«
Damit war die Sache geregelt.
Seifferheld hätte sich allerdings denken können, dass es nicht ungestraft blieb, wenn man einem Heranwachsenden sein Recht auf Bildung vorenthielt. Aber in diesem Moment war ihm das egal.
Und so zogen sie – nach einem kleinen Umweg über die Eisdiele Simonetti – die Crailsheimer Straße bergan: der alte Mann, das Kind und der Hund.
Mozes plapperte unentwegt, weswegen die Eiskugeln in der Waffel, die er in der Hand hielt, schon so gut wie geschmolzen waren und klebrige Schlieren auf seiner Rechten hinterließen.
»Ich darf nicht zu viel Eis essen«, erklärte Mozes. »Ich bin schon ganz doll krank geworden vom Eisessen. Ich hatte über vierzig Tonnen Fieber!«
Seifferheld nickte, ohne zuzuhören. Er überlegte sich, wie er Sissi von Bellingen am besten befragen konnte. Sie kamen am ausgedehnten Gebäudekomplex der Bausparkasse Schwäbisch Hall vorbei und warteten an der Ampel darauf, die Straße überqueren zu können.
»Mama sagt, das ist deshalb gekommen, weil ich erst das Eis gegessen habe und dann gleich ganz viele Äpfel und Pfirsiche. Ich mag Pfirsiche. Du auch? Die sind wie Äpfel, nur mit Hauthaaren.«
Die von Bellingens hatten sich einen alten, aber architektonisch reizvollen Bungalow gekauft, in Sichtweite des ehemaligen Verwaltungsgebäudes von Rex Asbest. Das Gartengrundstück war von der Straße nicht einzusehen. Soweit Seifferheld der Zeitung entnommen hatte, standen an diesem Vormittag die Türen offen, damit Nachbarn und Bekannte der Witwe ihr Mitgefühl aussprechen konnten. Das war in der Stadt so üblich. Wenn man wer war.
Seifferheld trug wieder seinen guten Anzug, Mozes allerdings eine knallbonbonbunte Latzhose und darüber eine Strickjacke mit dem FC -Bayern-Logo. Aber von Kindern erwartete man ja auch keine angemessene Trauerkleidung, oder?
»Wie ich so doll Fieber hatte, da habe ich auch so geschwitzt wie jetzt. Schwitzen, das ist, wenn die Haut undicht wird und das Wasser raussickert. Guck!« Mozes zeigte mit seiner kleinen schwarzen Patschhand auf seine Stirn, über die wahre Schweißströme rannen. Es war ein warmer Vormittag, die Steigung auf den Klingenberg war beträchtlich, und die Strickjacke war dick.
Seifferheld guckte aber nicht, er überlegte sich Fragen. Hatte Sissi von den Affären ihres Mannes gewusst? Kannte sie die Frauen womöglich? Der Siegelring unter dem Kassentresen in Frau Runkels Laden war ihm sehr schmal vorgekommen – gehörte der Ring möglicherweise Sissi? Hatte
sie
Kiki Runkel ermordet?
Die herrlichen Blumen, die er sich in der Straußbinderei Thomas Starz hatte binden lassen, wurden ihm schwer im Arm. Seine Hüfte schmerzte, vor allem beim Bergaufgehen.
Seit Olaf seine Tochter statt seiner Hüfte massierte, nahmen die Beschwerden wieder zu.
»Ich mag dich, Onkel Seifferheld«, verkündete Mozes treuherzig. »Und Onis mag ich auch.« Er strahlte. »Wir sind wie die drei Muskeltiere!«
Kurz darauf standen sie vor der mannshohen Hecke, die das Grundstück der von Bellingens umgab und vor dem gerade ein schwarzer Phaeton mit Chauffeur abfuhr. Der Wagen des Oberbürgermeisters. Mozes staunte nicht schlecht. »Wenn ich groß bin, will ich auch so ein Auto. Mit Chauffeur!«
Das Gartentor quietschte. Die Haustür stand offen, als Türsteher fungierte Konzi von Bellingen.
»Herr Seifferheld, Sie hier?«
Seifferheld wahrte die Fassung. Mit Konzi hatte er schließlich gerechnet. »Da wir doch demnächst über Ihr Bild in quasi nabelschnurartiger Verbindung stehen werden, wollte ich der Familie natürlich meine Aufwartung machen.«
In Konzis Kreisen machte man das tatsächlich so, weswegen Konzi das auch gar nicht weiter verwunderlich fand. Seifferheld schlang die Leine von Onis um das gusseiserne Treppengeländer. Drei Stufen führten zum Eingang des Bungalows.
»Sagen Sie mal, schlagen Sie Ihren Hund?«, fragte Konzi.
»Wie bitte? Natürlich nicht!«
»Der sieht aber so aus.«
Onis machte wirklich den Eindruck, als würde er entsetzlich misshandelt. Das gehörte natürlich zu seinem perfiden Plan, seinen Oberhund zur Herausgabe seines heißgeliebten Teddybären zu veranlassen. Aber man musste als Hundehalter konsequent streng sein.
»Der Hund schauspielert nur«, erklärte Seifferheld und tätschelte Onis betont liebevoll den
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