Nadel, Faden, Hackebeil
oder?«
Kolb sah gar nicht hin. »Sie wissen, dass ich Ihnen das nicht sagen darf. Das würde das Arzt-Patientin-Vertrauensverhältnis untergraben.«
»Sie müssen es mir nicht sagen, ich sehe es ja.«
Kolb leerte sein Bier, blieb aber stehen.
»Tja, wenn ich da an Frau Runkel denke …« Seifferheld hatte keine Ahnung, ob Kiki Runkel zu Lebzeiten noch ganz sie selbst oder bereits chirurgisch aufgehübscht war. Er hatte die Frau nie so bewusst wahrgenommen. Nein, er stocherte einfach nur in trüben Gewässern, um Kolb aus der Reserve zu locken. Das konnte er gut und machte es gern. Und dieses Mal war er auch auf etwas gestoßen.
Kolbs Adamsapfel hüpfte abrupt auf und ab. Wenn der Adamsapfel es anatomisch gekonnt hätte, wäre er bestimmt im Kreis rotiert.
»Schöne Uhr, die Sie da tragen«, wechselte Seifferheld das Thema.
Kolb sah auf sein linkes Handgelenk.
»Sieht teuer aus.«
Endlich fand Kolb seine Stimme wieder. »Als Arzt muss man auch repräsentieren. Zu einem Mediziner, der Aldi-Uhren trägt, hätte doch keine Frau der Gesellschaft Vertrauen.« Er sah dezidiert auf Seifferhelds Handgelenk.
Seifferheld widerstand dem Drang, seine Armbanduhr zu rechtfertigen. Die im Übrigen nicht von Aldi war.
»Da haben Sie natürlich recht. Das Auge isst mit. Man muss als Top-Schönheitschirurg zweifelsohne optisch etwas hergeben. Auch das Ambiente im Behandlungsbereich muss stimmen, habe ich recht? Edle Leuchten, viel Chrom und Marmor, Bilder angesagter Künstler … Norbert Bisky zum Beispiel. Ich meine ja nur …«
Deutlicher hätte Seifferheld Kolb gar nicht klarmachen können, dass er in dessen Wochenendhaus eingestiegen war und seine offensichtlich florierende, zweifellos illegale Botox-Spritzstube entdeckt hatte. Außer natürlich er hätte gesagt: »Übrigens, ich war da mal bei Ihnen im Wochenendhaus.« Aber Dr.Kolb verstand ihn auch so.
Es gongte.
Eine winzige, uralte Dame in einem Paillettenkleid mit Puffärmeln trippelte an ihnen vorbei und drückte Seifferheld ihr Sektglas in die Hand. »Räumen Sie das doch bitte für mich auf, junger Mann«, bat sie.
Seifferheld und Kolb rührten sich nicht.
Ein gelangweilt wirkender Mittdreißiger schlenderte hinter einer Frauengruppe an ihnen vorbei. »Wissen Sie, wie lange die zweite Halbzeit dauert?«, fragte er flüsternd. »Noch mal genauso lange?«
Kolb und Seifferheld erwiderten nichts.
Sie ließen die anderen Theaterbesucher passieren und lieferten sich so lange ein Wer-blinzelt-zuerst-Wettstarren.
Kolb verlor. »Ich glaube, ich verzichte auf den Rest des Stückes. Mein Magen. Womöglich ist mir das Bier nicht bekommen.«
Seifferheld nickte. »Bei Bier kann man gar nicht vorsichtig genug sein. Gute Besserung.«
Ohne sich umzudrehen, lief Dr.Kolb die Treppe hinunter.
Seifferheld sah ihm nach. Also gut, der Mann war Schwarzarbeiter und spritzte Society-Damen an der Steuer vorbei ein Nervengift unter die Haut. Aber war er deshalb auch der Mörder von Lambert von Bellingen und Katharina Runkel?
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9 . Kapitel
Aus dem Polizeibericht
Heiß geht’s her auf dem Damenklo
Der Kleinbrand eines Papierhandtuchspenders in der öffentlichen Damentoilette am Zentralen Omnibusbahnhof konnte in der Nacht zum Donnerstag von der Freiwilligen Feuerwehr rasch mit einer Kübelspritze gelöscht werden. Der angrenzende Imbiss wurde im Anschluss belüftet. Von den Tätern fehlt bislang jede Spur. Angesichts der Indizienlage wird nicht von mutwilliger Zerstörung ausgegangen, sondern von angeschickerten Frauen, die beim Zigarettenanzünden an ihre motorischen Grenzen stießen.
08 : 30 Uhr
Jeder Mensch macht Fehler. Das Kunststück liegt darin,
sie dann zu machen, wenn keiner zuschaut.
Peter Ustinov
Mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks verließ Dr.Arnfried Kolb pünktlich um 8 Uhr 30 seine Mansarde auf dem Klinikgelände der Diakonissenanstalt Schwäbisch Hall. Vor der Haustür blieb Kolb kurz stehen, wischte sich einen Fussel vom Revers, sah nach links, sah nach rechts und schritt dann mit weit ausholenden Schritten auf das Haupthaus der Klinik zu. Wieder ein neuer Tag und somit eine neue Chance, der Welt seine Größe zu zeigen!
Hätte Dr.Kolb sich für seinen frühmorgendlichen Blick etwas mehr Zeit genommen, hätte er vielleicht die Hundeschnauze gesehen, die hinter der Auferstehungskirche hervorlugte. Oder zumindest das rosa Teddybein, das aus der Hundeschnauze herausragte. So aber sah er nur Oberschwester Miriam im Mutterhaus
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