Nadelstiche
mit Anrufen versucht?«
Manny winkte nur ungehalten ab und ließ sich wieder aufs Sofa fallen. »Ich hab alles versucht. Wenn ich die Eltern anrufe, hab ich irgendeinen Privatsekretär an der Strippe, der meine Nachricht sehr höflich entgegennimmt, aber kein Mensch ruft zurück. Wenn ich Pacos Handy anrufe, krieg ich sofort die Mailbox. Ihr könnt mir glauben, Anrufererkennung ist ein Fluch. Wenn ich zu ihnen nach Hause gehe, komm ich nicht am Portier vorbei.«
»Irgendwann müssen sie ja mal raus. Bezieh vor dem Haus Posten und warte.«
»Sie verlassen das Gebäude nur durch die Tiefgarage, in ihrem Wagen mit Chauffeur«, sagte Manny. »Das ist eine von zig Stretchlimos, die von morgens bis abends da raus- und reinfahren.«
»Ah, der Lifestyle der Reichen und nicht ganz so Berühmten«, sagte Sam. »Ich denke –«
Plötzlich sprang Manny wie von der Tarantel gestochen auf und begann, durchs Zimmer zu tigern. »Sam, du bist genial. Ich nehme alles zurück, was ich je über dich gesagt habe.«
Sam reagierte auf das Lob fast so stolz wie Mycroft, bis ihm klar wurde, dass das Kompliment einen Pferdefuß hatte. »Was? Was hast du denn über mich gesagt?«
»Die Reichen und ihr Lebensstil – so komm ich an die Sandovals ran. Maureen Heaton hat gesagt, sie hat ein Foto von ihnen in den Klatschspalten der Times gesehen.« Manny ließ den Blick durch den chaotischen Raum wandern. »Wo ist dein Laptop?«
Jake ging zu dem mit Unterlagen übersäten Tisch unter dem Vorderfenster und holte widerstrebend seinen Laptop. Er kam sich vor, als reichte er einem Alkoholiker eine Flasche Wodka, aber wenn Manny in so einer Stimmung war, ließ sie sich durch nichts und niemanden bremsen.
»Wonach suchst du?«, fragte Sam, als Manny die Webseite der New York Times aufrief.
Manny antwortete nicht. Sie hatte den Mund leicht geöffnet, ihre Finger flogen über die Tastatur, und ihr Blick war gebannt auf den Bildschirm gerichtet.
»Sam, am besten, du bestellst uns was zu essen. Wenn sie so ist, hört sie nicht auf, bis sie gefunden hat, was sie sucht.« Jake legte sich aufs Sofa und griff nach der neusten Ausgabe des Journal of Forensic Sciences. »Sie meldet sich schon, wenn sie so weit ist.«
Jake ließ beide Beine über die Lehne des Sofas hängen und blendete Manny, seinen Bruder und die Welt mit der tristen blau-grauen Zeitschrift aus. Nach zehn Minuten wurde ihm bewusst, dass er ein und denselben Abschnitt in einem Artikel über das Verhältnis von Wundmustern und sexueller Psychose des Täters dreimal gelesen und noch immer keinen Schimmer hatte, worauf der Verfasser hinauswollte. Seine Gedanken wanderten immer wieder zurück zu dem Vampir.
Was beabsichtigte der Mörder? Warum hatte er seinen ersten Opfern lediglich Blut abgenommen und sich dann im Fall Amanda Hogaarth zu Folter und Mord gesteigert? Wie war er in die Wohnung gelangt, wo doch Ms Hogaarth offenbar nicht der Typ Frau gewesen war, die jedermann die Tür öffnete?
Die einzige Möglichkeit, den Vampir besser zu durchschauen, waren seine Opfer, aber sie alle schienen Jake rätselhaft, vor allem Ms Hogaarth. Soweit bekannt, war sie nie verheiratet gewesen. Ihr Körper verriet eindeutig, dass sie nie ein Kind geboren hatte. Sie war alt und plump gewesen. Warum also hatte der Vampir diese besondere Form der sexuellen Folter gewählt?
Jake ließ die Zeitschrift sinken, tat nicht mal mehr so, als würde er lesen. Manny war noch immer in irgendwas auf dem Monitor vertieft. Sam tippte wie wild eine SMS in sein Handy. Selbst Mycroft war elektronisch verzaubert und sah sich hingerissen eine Tiersendung im stumm gestellten Fernseher an. Jake rückte seinen schlaksigen Körper etwas bequemer zurecht. Er brauchte keine Hardware, Software oder drahtlose Verbindung, um das zu tun, was notwendig war. Er musste bloß sämtliche Informationen, die sein Gehirn zu diesem Fall gespeichert hatte, in irgendeine kohärente Form bringen.
Er schloss die Augen und löste seinen aktiven Verstand aus der Gegenwart, überließ willentlich seinem Unterbewusstsein die Führung. Opfer, die scheinbar nichts gemeinsam hatten. Außer Blut. Blut musste sie irgendwie miteinander verbinden. Blutsbande … Blut ist dicker als Wasser …
Es klingelte an der Haustür. Manny sprang vom Computer hoch. »Das ist die Lieferung vom Chinesen. Los, Jungs – Abendessen!«
Jake erhob sich und rieb sich die Schläfen, während sein Bruder, der Hund und Manny an ihm vorbeiflitzten.
Manny drehte sich zu
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