Nadelstiche
Die Stimme hat gesagt, sie hätten Informationen, die die Karriere meines Vaters zerstören und ihn ins Gefängnis bringen würden. Sie haben gesagt, ich sollte in diesen Club in Hoboken gehen und dass da einer Kontakt zu mir aufnehmen würde. Ich wollte hingehen, weil ich meinen Vater schützen wollte, aber ich hatte Angst, und deshalb hab ich Travis gefragt –«
»Ob er Lust hätte, mal einen neuen Club auszuprobieren.« Manny seufzte. Ihr armer Mandant. Er hätte nicht mal dabei sein sollen. Der Vampir hatte die Briefkastenexplosion als Falle für Paco vorbereitet, und dann war die falsche kleine Maus hineingestolpert. Und Paco hatte tatenlos zugesehen, wie sein Freund in die Fänge der Polizei geriet.
»Damit ich das richtig verstehe«, sagte Manny in dem Tonfall, den sie sonst bei Lügnern im Zeugenstand einsetzte. »Du hast zugelassen, dass dein Freund verhaftet und als Terrorist verdächtigt wird, und hast der Polizei nichts von dem merkwürdigen Telefonat erzählt, das euch beide in den Club Epoch geführt hatte?«
Paco kaute auf seiner Unterlippe, aber immerhin schaute er nicht weg. Er sah sie an und hielt ihrem Blick stand. »Da hatte ich schon erfahren, was sie mir sagen wollten, weshalb sie mich dahin bestellt hatten.«
»Nämlich?«
Paco hob abwehrend die Hand. »Ich konnte die Sache in der Nacht nicht mal richtigstellen. Ich brauchte Zeit zum Nachdenken. Travis und ich wurden von der Polizei getrennt. Mich ließen sie laufen, deshalb hab ich gedacht, ihn hätten sie auch laufen lassen.«
»Haben sie aber nicht. Und du hast trotzdem nicht den Mund aufgemacht. Tu es jetzt, tu das Richtige. Geh zur Polizei und erzähl denen alles, was du weißt.«
»Nein!«
Pacos Ausruf war so laut, dass der Kutscher einen Blick über die Schulter warf. Dann wandte er sich diskret wieder nach vorn. Wahrscheinlich, so Mannys Vermutung, hatte er schon zahllose Streitereien zwischen Liebespaaren in seiner Kutsche mitbekommen.
»Am nächsten Tag hat der Vampir sich wieder bei mir gemeldet. Er hat gesagt, sie würden Travis und seine Mutter töten, wenn ich zur Polizei gehe. Nachdem Travis aus dem Gefängnis raus war, hat er mir dasselbe gesagt. Jedes Mal wenn ich mit ihm rede, beschwört er mich, bloß den Mund zu halten. Er sagt, wir müssen die Sache aussitzen, dann kommt alles wieder in Ordnung.«
Das sanfte Geschaukel der Kutsche hätte beruhigend sein können, aber Manny hatte sich noch nie so angespannt gefühlt. »Und das glaubst du? Paco, diese Leute haben sechs Menschen überfallen und zwei gefoltert und getötet. Du kannst ihnen unmöglich vertrauen.«
»Denen vertrau ich auch nicht, aber ich vertraue Travis. Er sagt, das FBI glaubt ihm kein Wort. Die halten ihn für einen Terroristen.«
Manny atmete tief durch. Sie konnte hören, dass sich allmählich Hysterie in Pacos Stimme schlich. Sie musste ihn beruhigen und dazu bringen, seine Geschichte von Anfang an zu erzählen. Erst dann hätte sie eine Chance, ihn zur Vernunft zu bringen.
»Wir müssen über die Vergangenheit reden, Paco«, setzte sie an. »Was haben deine Eltern während des Schmutzigen Krieges gemacht?«
Ihre plötzliche Kehrtwende erschreckte ihn. »Nichts«, sagte er laut. »Meine Eltern sind gute Menschen.«
»Der Vampir weiß irgendwas über die Vergangenheit deines Vaters, nicht wahr?«, fragte Manny weiter. »Irgendetwas, das die diplomatische Karriere deines Vaters zunichtemachen würde. Dieser Killer benutzt dich, Paco. Er nutzt deinen Wunsch aus, deine Familie zu schützen. Ihm ist klar, dass du Schaden von ihnen abwenden willst, aber das Ganze ist aus dem Ruder gelaufen. Unschuldige Menschen haben darunter zu leiden.«
»Unschuldige Menschen?« Paco spie das Wort aus wie ein Stück verdorbenes Fleisch. »Amanda Hogaarth war nicht unschuldig. Raymond Fortes war nicht unschuldig. Die haben gekriegt, was sie verdienen.«
Seine Leidenschaft verblüffte Manny, und sie überlegte, was sie als Nächstes sagen würde. Offensichtlich hatte sie einen Nerv getroffen, aber sie musste behutsam vorgehen, um ihn weiter am Reden zu halten. Sie hatte keine Ahnung, warum Paco behauptete, Ms Hogaarth habe den Tod verdient, aber sie konnte sich vorstellen, warum Dr. Fortes ein so grausiges Ende genommen hatte.
»Dr. Fortes ist gefoltert worden, weil er selbst im Schmutzigen Krieg ein Folterer war, hab ich recht?«
»Einer von der schlimmsten Sorte.« Plötzlich wollte Paco ihr mehr erzählen. Er schaute sich um, aber außer einer weiteren
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